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34       Zweiter Abschnitt.

und linker Hand über und unter dem Horizont liegen, gleich gut müssen ins Auge fallen.  Man geht also von dieser Regel nur in den Fällen ab, wo man einen von diesen vier Theilen dem Gesichte vorzüglich darstellen will.  Wenn man zum Exempel mitten am Eingange einer Strasse steht, und die eine Seite derselben vorzüglich betrachten will, so kehrt man sich etwas gegen dieselbe hin, und wenn man die Gasse so zeichnen wollte, so würde man den Augenpunkt nicht in der Mitte, sondern näher gegen die Seite nehmen, welche vorzüglich ins Auge fallen soll.

Ausarbeitung; so heisset die letzte, aber nicht unwichtigste Arbeit des Künstlers an seinem Werke.  Durch die Ausarbeitung wird alles Zufällige jedes einzelnen Theiles auf das völligste bestimmt, und dadurch das Werk vollendet.  In einem Portrait würde nach der blossen Anlage das Bild, im Ganzen betrachtet, in Ansehung der Zeichnung das völlige Ansehen der Person bereits haben; jeder Haupttheil würde überhaupt, in Ansehung des Kolorits, das Licht und die Farbe haben, die ihm zukommt: nach der Ausführung würde auch jeder einzelne Theil in seinem wahren Verhältnisse und seiner wahren Form gezeichnet seyn, sein gehöriges Licht, und die wahre Farbe haben; aber die genaueste Verbindung der kleinsten Theile unter einander, die Mittellichter, Widerscheine und die feinern Tinten, wodurch das Bild die eigentliche Wahrheit und Natur bekommt, fehlen noch.

Diese werden durch die Ausarbeitung hinein gebracht.  Wenn durch die ersten Arbeiten, das Bild ähnlich wird; so bekommt es nur durch die völlige Ausarbeitung das Leben, wodurch es nicht mehr wie ein Bild, sondern wie die Sache selbst erscheint.  Ohne sorgfältige Ausarbeitung kann kein Werk vollkommen seyn.  Ist sie nicht der wichtigste Theil der Arbeit des Künstlers, so ist sie doch der, durch den die andern ihre höchste Wichtigkeit erreichen.

Miniatur Gemälde können nicht sorgfältig genug ausgearbeitet werden.  Man muss sehen, dass der Künstler mit Fleiss und Wohlgefallen den Pinsel führte.  Das Präciöse und Schönvollendete ist dieser Gattung der Malerei angemessener, als jeder andern.  Die Arbeit darf indess doch nicht zu geleckt seyn. Die Trockenheit des Geleckten stehet im Widersprüche mit dem reizenden und anziehenden Kolorit, das von einer freien und kühnen Hand erwartet wird.

Ausbildung.  Unter dieser Bennennung begreifet man die Bearbeitung eines Gegenstandes der Kunst, wodurch er die zufälligen Schönheiten bekommt, die ihn eigentlich zum ästhetischen Gegenstand machen.  Indem der Künstler einen Gegenstand ausbildet, thut er das daran, was der Juwelierer an dem Diamant thut, den er schleift und fasst. -- Es giebt Gegenstände, die schon in ihrer Natur betrachtet, ohne die Bearbeitung des Künstlers, nach ihrer Art hinlängliche ästhetische Kraft haben, folglich der Ausbil-