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Meinungen

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„Unterhehmer, die ihre Produkte and Dienstleistungen nur als Mittel zum Geldverdienen verstehen, benehmen sich wie Ärzte, die in ihren Patienten 
primär eine Geldquelle sehen and nicht deren Gesundheit."

Barrieren im Menschen

Die organischen Zusammenhänge des derzeitigen gesellschaftlichen Wandels sind uns jedoch aus verschiedenen Gründen nicht unmittelbar einsichtig. Denn es hat sich herausgestellt, daß viele Menschen dazu neigen, den Prozeß stark vereinfacht zu sehen. Sie haben folglich unrealistische Erwartungen, indem sie davon ausgehen, daß ein Wandel auf dem Wege der Gesetzgebung oder durch politische und wirtschaftliche Entscheidungen herbeigeführt werden könnte. 

Es gibt keine Kraft auf der Erde, die so viele Veränderungen herbeiführt wie die Menschen. Wir fürchten uns letztlich vor uns selbst. Darüber hinaus haben wir ein Glaubenssystem verinnerlicht, das uns durch einen externen, strafenden Gott noch zusätzlich Angst macht. Zur Beschwichtigung von Zukunftsangst und Göttern wurden früher Opferhandlungen durchgeführt, später wurde immer mehr Geld und Besitz angehäuft, um sich abzusichern. Besitz jedoch führt erneut zu Angst: Man könnte ihn verlieren.

Geld war und ist bis heute nicht nur ein symbolisches Transfermittel, sondern auch ein Unsterblichkeitssymbol. Seit seiner Einführung verleitet Geld zu der Illusion, die Zukunft absichern und den Tod verdrängen zu können. Geld bindet die Menschen und hindert sie daran, ein erfülltes Leben zu führen. Ohne Geistigkeit ist das Leben nur ein langes vergoldetes Sterben. 

Monetarisiertes Denken hat das Bruttosozialprodukt und seine Wachstumsraten zum nationalen Gesundheitsbarometer erkoren. Rüstung, finanzielle Spekulationen, Energieverschwendung, selbst Krankheiten und Massenkarambolagen tragen zur Erhöhung des Bruttosozialprodukts und zur Schaffung von Arbeitsplätzen bei. Kunst, Bildung, Kindergärten oder Kranken- und Altenpflege hingegen werden als Kostenfaktor verstanden. Diese gefühllose Rationalität läßt uns die Natur als Ware verstehen, deren man sich rücksichtslos bedienen und die man zu Geld „veredeln" kann.

Unternehmer, die ihre Produkte und Dienstleistungen nur als Mittel zum Geldverdienen verstehen, benehmen sich wie Ärzte, die in ihren Patienten primär eine Geldquelle sehen und nicht deren Gesundheit. Wenn ein Pharmakonzern seine Berufung darin sieht, so viele Arzneimittel wie möglich zu verkaufen, um viel Geld zu verdienen, kann er nicht an der Gesundheit der Menschen interessiert sein.

Die organischen Zusammenhänge im Prozeß des Wandels werden durch die Komplexität des Systems verschleiert. Wir lenken unsere Aufmerksamkeit meistens auf konkrete Dinge: auf den Benzinpreis, die Staus auf den Autobahnen oder die Wahlaussagen der Politiker im Fernsehen. Die Vielschichtigkeit gesellschaftlicher Prozesse überfordert häufig unsere menschliche Vorstellungskraft. Wir sind beispielsweise überrascht von „unerwarteten Folgen" eines neuen Gesetzes oder müssen erkennen, daß scheinbar gelöste Probleme in subtiler Form erneut auftreten. 

Es ist äußerst schwierig, weiter zurückliegende Ursachen oder langfristige Konsequenzen gegenwärtiger Ereignisse richtig einzuschätzen, wenn die Aufmerksamkeit auf kurzfristigen Zielen und sofort kontrollierbaren Ergebnissen liegt. Diese Neigung ist unter anderem kulturbedingt. Alles, was nicht aktuell und sofort umsetzbar ist, macht uns ungeduldig. Das liegt auch am Leistungsprinzip, das uns zu schnellen Erfolgen


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John V. Hormann, Jahrgang 1934, studierte in Deutschland und den USA Musik und Automation Technology. Er ist für die IBM seit mehr als 25 Jahren international in Führungspositionen tätig und befaßt sich seitdem mit der Sensibilisierung der Fremd- und Selbstwahrnehmung. Gegenwärtig arbeitet er im Rahmen eines IBM Secondments an einem Projekt über ökologische Wirtschaftsformen und die Arbeit der Zukunft für die Schweisfurth-Stiftung in München.

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