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Meinungen


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antreibt, die wiederum neue Ansprüche wekken [[wecken]]. 

Mit Gewinnstreben setzen sich Unternehmer oftmals so unter Druck, daß sie kurzfristige Ziele gegen besseres Wissen verfolgen. Ähnlich verhalten sich Politiker. Weil sie nach vier Jahren der Amtsausübung wiedergewählt werden wollen, sind auch sie an langfristigen Lösungen nicht interessiert. Denn Erfolge könnten sich ja die Nachfolger an die Brust heften. Ein Teufelskreis, der uns die Sicht für das Ganze versperrt.

Wir haben einen starken Widerstand, uns und unser Umfeld realistisch wahrzunehmen, wenn es nicht in unsere Vorstellungen paßt. Die Wirklichkeit ist neutral, aber aufgrund unserer Veranlagung und eigenen Erfahrung sind wir geneigt, ständig Werturteile zu verlangen and abzugeben. Dadurch bauen wir Gegensätze auf und grenzen Bereiche aus, die nicht in unsere Vorstellung passen. Da wir aufgrund unserer Werturteile auch Teile von uns selbst ablehnen, entwickeln wir ein fragmentarisches Selbstbild. Eigenschaften, die wir nicht akzeptieren, projizieren wir nach außen, wo wir sie dann bekämpfen. In diesem Prozeß verfälschen wir unser Selbst- und Weltbild in einem Ausmaß, das wir kaum noch erfassen können.

Wir alle sind kulturell „hypnotisiert", indem wir Dinge so wahrnehmen, wie wir es gelernt haben. Es gibt Kulturen, für die das Universum lebendig ist, in denen die Menschen das Leid, das sie einem anderen zufügen, selbst auch spüren. Dieses Kulturverständnis unterscheidet sich grundsätzlich von unserer funktionellen oder romantisch-sentimentalen Betrachtungsweise der Natur.


Zwei Arten des Wandels

Die Geschichte weist auf zwei Arten des gesellschaftlichen Wandels hin. Wir könnten von „normalen" Veränderungen sprechen, die kontinuierlich innerhalb eines Systems stattfinden, und von „transformatorischen" Veränderungen, die eine Wandlung des Systems bedeuten. Die großen sozialen Fortschritte, die in den vergangenen beiden Jahrhunderten durch die Gesetzgebung erreicht wurden, sind Beispiele normaler Veränderungen. Seit der industriellen Revolution hat die Technik unser Leben stark beeinflußt. Auch diese Veränderungen gehören in den Bereich des normalen gesellschaftlichen Wandels. Dagegen war der mit der kopernikanischen Wende eingeleitete Wandel des Weltbilds transformatorisch.

Herausforderungen der Natur oder der Kultur können auf das Gesamtsystem einen Druck ausüben, der einen Wandel erzwingt. Das können von Menschen erzeugte oder natürliche Katastrophen sein, die von einer Gesellschaft verlangen, bisherige Anschauungen und Handlungsweisen aufzugeben, um weiteres Unheil abzuwenden. Es kann aber auch eine erweiterte  Wahrnehmungsfähigkeit der Menschen sein, die nach Veränderungen ruft, um befriedigende Lebensbedingungen zu schaffen. Dies war offenbar jüngst und ist noch in Osteuropa der Fall.

Revolutionstheorien beziehen sich auf das Konzept der „Dissynchronisation", eine Weiterentwicklung der Selbstheilungsidee. Ebenso wie biologische Organismen haben Gesellschaften die Fähigkeit zur Selbstheilung und -regulierung. Das bedeutet, eine Gesellschaft tendiert dazu, die Harmonie zwischen den Grundannahmen und Werten, der Umwelt und der sozialen Struktur aufrechtzuerhalten. Wenn sich eine dieser drei Größen verändert, versuchen die beiden anderen, einen Ausgleich 

9    IBM NACHRICHTEN 41 (1991) HEFT 304