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Meinungen

„Gesellschaftlicher Wandel entspringt dem ,Willen des Volkes'. Erst wenn ein genügend großer Anteil der Bevölkerung seinen Willen ausdrückt, werden unbefriedigende Umstände angepackt."

zu schaffen. Das ist ein natürlicher Regelkreis, der ein Gefüge aufrechterhält. Ein innerer Gleichgewichtszustand, den jede organisatorische Einheit aufrechterhalten möchte. Kann die Veränderung jedoch nicht mehr ausgeglichen werden, werden die anderen beiden Größen der neuen Entwicklung folgen. Ein transformatorischer Wandel findet statt.

Gesellschaften versuchen im allgemeinen, ihre Probleme durch Veränderungen innerhalb ihres Systems zu lösen. Der enorme Finanzbedarf der öffentlichen Haushalte ist zum Dauerproblem geworden. Lange Zeit hat man versucht, ihn durch Steuererhöhungen zu decken. Heute werden Schulden gemacht, mit verdeckten Schuldzinsen. Ein Politiker, der Steuererhöhungen verlangt, wird nicht gewählt. An die Wurzeln des Problems wird nicht gegangen.

Über Jahrzehnte hinweg hatte die Umweltverschmutzung in den USA zugenommen. Der Katalysator für den beginnenden Wandel dort war wohl Rachel Carsons Buch „Silent Spring", 1962, das der Bevölkerung die Ausmaße der chemischen Vergiftung ihres Landes bewußt machte. In Westeuropa waren es der Bericht des „Club of Rome", Greenpeace-Aktionen und die Grünen, die das Umweltbewußtsein der Bevölkerung schärften. Schließlich war es der Reaktorunfall von Tschernobyl, der eine politische Reaktion auf die Umweltminister ernannt wurde. Aber auch das ist schließlich nicht mehr als eine Veränderung innerhalb des Systems. 

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Die „Macht der Machtlosen"

Soziale Bewegungen haben einen großen Einfluß auf gesellschaftliche Veränderungen. Sie schärfen das Bewußtsein für unbefriedigende Situationen und bringen Sachverhalte auf die Tagesordnung der Politik. Sie zeigen Alternativen auf und bringen Bewegung in erstarrte Muster. Die Geschichte zeugt von gewichtigen Veränderungen, die von friedlichen Gruppen gegen den Willen der Machthaber durchgesetzt wurden. Denken wir nur an das vom Willen der US-Bevölkerung herbeigeführte Ende des Vietnamkriegs, an die Menschenrechtsbewegungen in vielen Ländern oder an die Bewegungen gegen Atomkraftwerke in Deutschland. Erfolgreiche soziale Bewegungen beziehen die Bevölkerung durch Aufklärung und Mobilisierung weitgehend ein, damit das Neue auf möglichst breiter Basis steht. Dabei werden sie von den Medien unterstützt. Solche Bewegungen tragen zu einer stärkeren politischen Partizipation der Bürger bei, ja sie erhöhen das Demokratieverständnis und vermitteln den Menschen mehr Selbstverständnis im Umgang mit ihrer Kultur. 

Soziale Bewegungen wirken als Katalysatoren, aber die eigentliche Kraft eines Wandels kommt aus der Bevölkerung. Gesellschaftlicher Wandel entspringt dem „Willen des Volkes". Erst wenn ein genügend großer Anteil der Bevölkerung seinen Willen ausdrückt, werden unbefriedigene Umstände angepackt. Diese Tatsache muß viel mehr in das Bewußtsein der Öffentlichkeit gerückt werden, damit die Menschen ihre Passivität überwinden, ihre eigene Autorität einbringen und als verantwortungsvolle Bürger handeln. 

In einer funktionierenden Demokratie wird das Engagement der Bürger erwartet und geschätzt. In einer funktionierenden Demokratie berufen sich die Bürger auf ihre innere Autorität, sie legen Wert auf einen gemeinsamen Entscheidungsprozeß und fordern Institutionen, die für die 


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