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Heft 5.
2. 2. 1917
Frank: Die Bedeutung d. physical. Erkenntnistheorie Machs f.d. Geistesleben usw. 67

Hinterpforte doch noch in das Heiligtum der Wissenschaft eingelassen. Solcher Namen und entsprechender Motivierungen gibt es nicht wenige. Ziemlich mühelos hat der Verfasser ihrer ein volles Dutzend zusammengebracht: Vollständigste und einfachste Beschreibung (Kirchhoff) ....Subjektive Forschungsmittel, Forderung der Denkbarkeit der Tatsachen, Einschränkung der Möglichkeiten, Einschränkung der Erwartung, Ergebnis der analytischen Untersuchung. Ökonomie des Denkens, biologischer Vorteil (diese alle bei E. Mach)."
  Ebenso spöttisch bemerkt Planck 1):"Es würde mich gar nicht wundern, wenn ein Mitglied der Machschen Schule eines Tages mit der großen Entdeckung herauskäme, daß....die Realität der Atome gerade eine Forderung der wissenschaftlichen Ökonomie ist."
  Auch andere Autoren weisen auf den klaffenden Gegensatz hin, der bei den Verehrern Machs zwischen Theorie und Praxis besteht. Es wird eine eigene Theorie vom Wesen der physikalischen Theorien aufgestellt, und sobald die Physik wirklich beginnt, benimmt sich der Positivist meist wie jeder andere Physiker. Ein Anhänger Machs ist fähig zu proklamieren, die Physik habe sich nur mit der Verknüpfung der Sinnesempfindungen zu beschäftigen, und der Verkünder dieser Lehre redet als Physiker genau so wie ein anderer von Materie und Energie, ja auch von Atomen und Elektronen. 
  Ich glaube nun, daß gerade dieser anscheinend so handgreifliche Widersinn zum Verständnis des bleibenden Kernes der Machschen Lehre führen kann. Hören wir noch einmal Study 2): "Die ganze Situation erinnert auffallend an den Vorschlag Kroneckers, die Irrationalzahlen abzuschaffen und die Mathematik auf Aussagen über ganze Zahlen zu reduzieren; auch in diesem Fall ist es bei dem Programm geblieben, und aus demselben guten Grunde." Die Analogie ist, wie ich glaube, sehr zutreffend. Nur möchte ich ihr eine andere Deutung geben als Study. Es ist selbstverständlich zwecklos, alle Sätze der Mathematik wirklich als Sätze über ganze Zahlen auszusprechen. Aber prinzipiell ist es doch ungemein aufklärend, wenn man weiß, daß alle Sätze über Irrationalzahlen und daher auch alle Sätze über Grenzwerte als Sätze über ganze Zahlen ausgesprochen werden können. Wenn diese Möglichkeit einmal konstatiert ist, kann sich die ganze Analysis ruhig wie gewöhnlich abwickeln. Aber es kann nicht mehr geschehen, daß, sobald etwa ein Satz über Differentialquotienten aufgestellt ist, jemand an ihm herumzudeuteln beginnt, indem er untersucht, ob denn dieser Satz mit dem "Wesen" des Differentials im Einklang ist und tiefsinnig-skeptische Betrachtungen über dieses
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  1) M. Planck, Zur Machschen Theorie der physikalischen Erkenntnis, Vierteljahrsschr. für wissensch. Philosophie, Bd. 34, S. 497 (1911).
  2) Study l. c. S. 39.

"Wesen" anstellt. Man sagt ihm dann einfach: Ich könnte diesen Satz, wenn ich mir genug Zeit nehme, als Satz über ganze Zahlen aussprechen und das Wesen dieses Satzes ist nicht mehr und nicht weniger geheimnisvoll als das der natürlichen Zahlen. 
  Ganz ähnlich steht es mit der physikalischen Erkenntnistheorie Machs. Es kommt nicht darauf an, wirklich alle physikalischen Sätze als Sätze über die Verknüpfung von Sinnesempfindungen auszusprechen; aber es ist wichtig festzustellen, daß nur solche Sätze einen realen Sinn haben, die im Prinzip als Sätze über den Zusammenhang unserer Sinnesempfindungen ausgesprochen werden können. Den Satz von der Erhaltung der Energie oder den Satz von der Verteilung der Energie über alle Freiheitsgrade als Sätze über Verknüpfung von Sinnesempfindungen auszusprechen, ist ebenso umständlich, aber auch ebenso überflüssig, wie etwa den Satz, daß der Differentialquotient des Sinus der Kosinus ist, als Satz über ganze Zahlen auszudrücken, obwohl beides sicher im Prinzip möglich ist.
  Für den inneren Betrieb der Physik ist es natürlich in den meisten Fällen ziemlich gleichgültig, ob man auf dem Machschen Standpunkt steht oder nicht.  Ebenso wird man auch in Kroneckers Vorlesungen über Integralrechnung nichts finden, was von der Darstellung anderer Mathematiker wesentlich abweicht.
  Worin besteht also dann der Wert der Machschen Lehren für die Physik?
  Da ist nun meine Ansicht die, daß ihr Hauptwert gar nicht darin besteht, daß sie dem Physiker bei seinen physikalischen Arbeiten vorwärtshelfen, sondern daß sie ein [[underline]] Mittel bilden, das Gebäude der Physik gegen von außen kommende Angriffe zu verteidigen. [[/underline]]
  Wer unbefangen die Begriffe prüft, die heute die Grundlagen des Hypothesensystems der Physik bilden, wird kaum ernstlich behaupten können, daß das Atom, das Elektron oder gar das Wirkungsquantum wirklich befriedigende letzte Bausteine bilden. Jeder ein wenig zu logischer Gründlichkeit neigende Denker wird Unklarheiten in diesen Begriffen aufdecken können. In diese Unklarheiten kann nun die bohrende Skepsis eindringen und das ganze Lehrgebäude der Physik als Grundlage unseres naturwissenschaftlichen Weltbildes zu erschüttern suchen. Da setzt nun Mach ein und sagt: Alle diese Begriffe sind nur Hilfsbegriffe. Das Bleibende ist der Zusammenhang der Phänomene. Die Atome, Elektronen und Quanten sind nur Zwischenglieder, um ein zusammenhängendes Lehrgebäude herzustellen; sie ermöglichen es, das unermeßliche System der verknüpften Phänomene logisch aus wenigen abstrakten Sätzen herzuleiten. Aber diese abstrakten Sätze sind dann nichts als die Hilfsmittel zur ökonomischen Darstellung, nicht die erkenntnistheoretische Grundlage. Die Realität der Physik wird also durch die Kritik an den Hilfsbegriffen


Transcription Notes:
Not sure how to incorporate the handwritten brackets in the right margins.