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Heft 5.
2.2. 1917

Aus der Zoologischen Station Rovigno (Adria).

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rüchtigte Krivotschie nördlich von Cattaro, mit ihrer 4360 mm jährlichen Regenmenge, ist die an Niederschlägen reichste Gegend Europas.  Diese Niederschläge erscheinen jedoch auf die verschiedenen Jahreszeiten recht ungleich verteilt; Sommer und Winter sind im allgemeinen trocken, wogegen Frühjahr und besonders Herbst ausgesprochene Regenzeiten sind.  Dabei ist nicht so sehr die Anzahl der Regentage auffallend als die Wolkenbrüche, die in kürzester Zeit oft unglaubliche Regenmassen zur Erde fallen lassen.  So fielen im Jahre 1901 einmal während 84 Minuten mehr als 70 mm und 1876 während eines Tages 154 mm, während 1898 in Fiume an einem Tage 234 mm und 1892 im Verlaufe von etwas mehr als 48 Stunden 515 mm Niederschlag gemessen wurde. Dieser Umstand bringt es mit sich, daß die istrischen Flüsse alljährlich mehrmals Hochwasser führen, das in den letzten Jahren bei Quieto, Reka und Arsa gleichmäßig über 4 m stieg.  Auch zahlreiche dem Karste eingesenkte Ebenen, die sog. Poljen, werden alljährlich überschwemmt und dadurch auch häufig ihre Fruchtbarkeit begründet, so daß sie hierin eine gewisse Ähnlichkeit mit den weiten Gefilden des Nils besitzen: bleibt in einem Jahre die Überschwemmung aus, so ist die Folge eine Mißernte."
2.  In dem Antlitz der Markgrafschaft Istrien ist das Karstbild in drei deutlich gesonderten Zügen ausgeprägt:  in dem aus nacktem, porösem Kalkstein gebildeten Hochkarstzuge, der von Doberdo herüberkommt und zum Monte Maggiore ansteigt, als Weißes Istrien (Istria bianca), in der fruchtbaren Sandsteinmulde, die breit zwischen Triest und Salvore anhebt und sich immer verschmälernd bis in die Gegend des Tschepitschsees erstreckt als Graues Istrien (Istria grigia), und in der pultartig geneigten und mit roter Verwitterungskrume überdeckten Kreidekalkplatte, die das ganze südliche Dreieck der Halbinsel ausmacht, als Rotes Istrien (Istria rossa).  Jene gewaltigen Wassermengen, die im Jahreslaufe auf die Landschaft niederfallen, erscheinen jedoch nur in den Sandsteingebieten als Quellen und Flüsse wieder, im Hochkarst und im Roten Istrien versinken sie fast schon im Augenblick des Aufschlagens in dem kluftigen Gestein.  Die wenigen Flußgerinne, die dennoch in die Kreidekalkgebiete einbrechen, fließen auf Alluvialboden dahin, oder ihre Wassermengen sind so groß, daß die Schlünde sie nicht fassen konnen.  Welche Wege die verschluckten Wasser im Innern des Gebirges einschlagen, ist nicht mehr und nicht weniger dunkel als die Wege es sind, die die Lymphe im Wirbeltierkörper zieht.  Im Hochkarst ahnen wir bereits wichtige Teile des Kanalnetzes in seinen Hohlräumen tief drunten, und auch im Roten Istrien steht es außer Frage, daß Karstgerinne in seinem Innern ab- und ansteigen, sich stauen und überstürzen, sich trennen und wiederfinden.  An einigen wenigen Punkten in der Istria rossa ist es auch schon gelungen, durch Brunnenschächte an Wasseradern heranzukommen, der weitaus größte Teil aber des inneren Wasserreichtums scheint noch auf lange hinaus unerschließbar zu sein.
3. Die Art, wie sich der Karstner von alters her in solcher Not hilft, ist primitiv genug.  Er schafft sich so viel Dachflächen als er vermag und leitet von dorther alle Regengüsse in Zisternen zusammen.  Den Wasservorräten seiner Zisternen entnimmt der Bürger das ganze Jahr hindurch das Wasser, das er zum Trinken, Kochen und Waschen nötig hat, und von den Vorräten seiner Gehöftzisternen zehrt der Bauer zusamt seinem Vieh, besonders dann, wenn die Dürrezeit kommt, wo es draußen "nicht einmal mehr Wasser
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genug für eine Träne gibt", und stündlich die Gefahr wächst, daß ihm auch der letzte sorglich gehütete Tropfen dahinschwindet ...
4. In der Feldflur gewinnt der Bauer auf eine noch weit simplere Weise das ihm so nötige Wasser.  Dort kleidet er einfach eine natürliche Bodensenkung, die er etwa in einer Weggabelung oder am Rande der Campagna finde, mit Lehmschlag aus und sammelt darin alle die Wässerchen auf, die bei Regen aus den Wegen und von den Ackerflächen zusammenrinnen.  Nicht selten entstehen solche Tümpel wohl auch von selbst, indem das von der Terrarossa einer Dolinensohle festgehaltene Grundwasser an einer nur mit dünner Erdkruste überdeckten Stelle zutage tritt.  Mit solchen Tümpeln ist das Land weithin übersät.  Laghi (Einzahl lago) nennt sie der Italiener, Lokven (Einzahl Lokva) der slawische Istrianer (Lusche würde der Schlesier sagen und sich mit dieser Wortbildung ebenfalls an lacus anlehnen).  Es gibt Laghi von der Größe eines Tränkeimers und Lokven von dem Umfang von Hunderten von Geviertruten.  Einige von den größeren verzeichnet die österreichische Spezialkarte (1:75 000).  Es sind das Tümpel, deren Ränder mit Schilf und Binsen bestanden sind, in denen Laichkräuter, Froschlöffel, Nymphäen, Ruppien, Iris gedeihen, Schildkröten leben, Ringelnattern auf Frösche jagen und selbst Wasserhühner lärmen.  Solche Tümpel haben oft bestimmte Namen.  Die demnächst kleineren Lachen, die im Maßstab der Karte schon nicht mehr darstellbar sind, sind häufiger nur mit Algen durchwuchert und beherbergen oft die altertümlichen Apus- und Branchipuskrebse oder sind mit Daphnien- und Cyclopsschwärmen erfüllt.  Sie und noch mehr die unübersehbaren Scharen der kleinen und kleinsten Tümpelchen, von deren Existenz nur der Eingeweihteste weiß, sind zugleich die Brutstätten der Anophelesmücken, der Überträger der Malariaerreger. Selten, man kann wohl sagen niemals ist das Wasser in diesen Karstlachen so klar, daß man den Grund sehen könnte, immer ist es von schwebenden Lehmteilchen gelb oder von Terrarossa rot gefärbt.  "Mehrmals des Tags wird das Vieh dorthin zur Tränke getrieben und vermengt den aufgewühlten Schlamm mit seinen Exkrementen, und die gleichen Lokven liefern gleichzeitig den Umwohnern das Nutz-, Koch- und Trinkwasser!"
Das ist ein vernichtender Spruch, und man wird sich nicht wundern, wenn Lukas Waagen an einer anderen Stelle rät, man solle alle Lokven verschütten.
5. Womit soll dann aber der Bauer den notwendigsten Wasserbedarf bestreiten?
Zunächst steht es jedoch nicht durchaus und nicht überall so schlimm um die Verunreinigung des Wassers, und dann kann auch etwas dagegen getan werden.
Über den Wert einiger Wasserproben aus zwei Tümpeln in der Feldflur Val dei specieri von Rovigno hat der verstorbene Berliner Gerichtschemiker Bischoff geurteilt: für das Vieh unbedenklich verwendbar, für den Menschen, wenn nichts Besseres da ist, auch.  Der eine der Tümpel liegt am Rande der Reichsstraße nach Vila, und der andere in der Gabelung eines Karrenwegs weiter drinnen im Felde.  Beide sind in der Besiedlung mit Tieren und Pflanzen sowie in der Farbe des Wassers grundverschieden.
Von außen frisch nach Istrien verpflanztes Hornvieh muß sich erst an das Trinken aus den Laghi gewöhnen, nimmt dann aber das Wasser ohne weiteres und auch ohne Schaden an.  Die Tiere wie die Menschen genießen von dem Wasser selbst dann, wenn seine Ober-
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Transcription Notes:
I wasn't able to put in the accent marks. I did put [[]] around the words that have the character that looks like a capital B (but isn't), so that these are easier to find later.