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Heft 5.
2.2.1917]          Botanische Mitteilungen        79

zungsprodukte durchaus fertil sind.  Die hierbei auftretenden Formen zeigen weitgehende Übereinstimmung mit den schon lange bekannten elementaren Brombeerarten. Auf Grund dieser Tatsachen gelangte Lidforß zu dem Schluß, daß bei der Bildung dieses Formenkreises Bastardierungen in hohem Maße beteiligt waren. Über die Hieraciumformen hat schon Mendel gearbeitet, und er fand, daß die F1-Generation polymorph ist, daß jedoch in den weiteren Generationen die einzelnen Typen konstant bleiben. Diese letztere Erscheinung beruht darauf, daß die Hieraciumbastarde apogam sind, und daher die Unmöglichkeit einer konstitutionellen Änderung nicht mehr besteht. Wir sehen hier also einen Weg, wie durch Kreuzung eine Fülle neuer konstanter Formen entstehen kann. Es wurde zu weit führen, hier noch auf Salix, Draba verna und Viola tricolor einzugehen. Im Prinzip ergaben die Versuche immer dasselbe: das schöpferische Moment scheinen spontan aufgetretene Kreuzungen zu sein. So verläuft also die Kritik im wesentlichen negativ, freilich nur in dem Sinne, daß das vorläufige Tatsachenmaterial die Mitwirkung der Mutationen bei der Artbildung nicht streng zu beweisen vermag. Man muß sich aber hier vor voreiligen Schlüssen und Verallgemeinerungen hüten. Es ist durchaus möglich, daß Mutationen bei der Stammesentwicklung der Organismen wirksam waren, und daß es uns bisher nur noch nicht geglückt ist, solche einwandfrei nachzuweisen. Irgendwann müssen doch einnmal die Faktoren, die den Genotypus bedingen, entstanden sein, und wenn wir uns eine Vorstellung von dem Entwicklungsgang der Lebewesen machen wollen, dann leistet die Mutationstheorie, wenn auch mit einigen neueren Erfahrungen entsprechenden Abänderungen, von allen Erklärungsversuchen die besten Dienste.

   Eine bemerkenswerte Knospenvariation der Feuerbohne nebst allgemeinen Bemerkungen über Allogonie. (Reinke, Ber. d. d. bot. Ges. Bd. 33, 1915.) Während normalerweise die Farbe der Blüten dem Namen der Pflanze entspricht, traten ganz unvermittelt bei einem Individuum des Kieler botanischen Gartens weiße Blütenstände auf. Aber nicht alle Infloreszenzen der Pflanze zeigten diese Abweichung, vielmehr waren die Blüten der unteren Stengelregion und auf der einen Seite des oberen Teils von der typischen Farbe. Offenbar handelte es sich um eine durch Anthocyanverlust bedingte Knospenvariation. Auch die Samen der weißen Blüten weisen ein besonderes Verhalten auf, insofern die Samenschale im Gegensatz zu der gewöhnlichen Marmorierung rein weiß gefärbt war. Sowohl die Nachkommenschaft der weißen als auch die der roten Blüten wurde geprüft. Die roten Blüten ergaben alle durchaus normale Pflanzen; 9 weiße Samen dagegen lieferten neben 2 roten Deszendenten 7 ausschließlich weißblühende Exemplare. Es war also Spaltung eingetreten, die sich in der nächsten Generation bei den Nachkommen der rein weißen Samen wiederholte. Soweit die Tatsachen. Es handelte sich nun darum, eine Erklärung dafür zu finden. Da eröffnen sich zwei Wege. Entweder war die Pflanze, bei der die weißen Infloreszenzen sprunghaft entstanden, kein Bastard, und dann liegt eine Knospenmutation - oder wie Reinke sich vorsichtiger, um das vieldeutige Wort "Mutation" zu vermeiden, sagt, eine Knospenallogonie - vor, die darin bestand, daß in einem bestimmten Sektor des Individuums die Fähigkeit, Anthocyan zu bilden, plötzlich verloren ging. Es wäre also ein ähnlicher Fall wie der, den Correns beobachtete, wo bei einer buntblättrigen Pflanze von Mirabilis Jalapa unvermittelt normal grüne Seitenäste auftraten. Oder aber, die Pflanze war ein Bastard, und die Spaltung in die elterlichen Komponenten ist nicht erst bei der Keimzellenbildung - also nach dem normalen Verlauf -, sondern schon im vegetativen Lebensgange erfolgt. Danach hatten wir es mit einem "Mosaikbastard" zu tun. Eine Sicherheit ließ sich in dieser Beziehung nicht erlangen, doch neigt Reinke zu der Ansicht, daß es sich um eine Allogonie handle. An diese Erörterungen schließt sich eine Betrachtung über die Bedeutung der Allogonien im allgemeinen an. Es ist gar nicht notwendig - und nach der Auffassung des Verfassers nicht einnmal wahrscheinlich -, daß alle Allogonien gerade in den Geschlechtszellen eintreten. Es gibt ja - ganz abgesehen von den Bakterien - auch recht hochstehende, reich differenzierte Pflanzen, bei denen dies nicht der Fall sein kann. Hierher gehört die Alge Caulerpa, bei der bisher geschlechtliche Fortpflanzung nicht nachgewiesen werden konnte. Wie anders sollen hier die zahlreichen scharf umrissenen Arten entstanden sein als durch Knospenvariation. Und tatsachlich ist auch bei einer hierher gehörenden Form, C. plumaris, ein solcher Fall schon beobachtet worden. Es trat an einer dem Typus entsprechenden zweizeiligen Pflanze plötzlich ein dreizähliger Seitensproß auf. Das ist deshalb bemerkenswert, weil hier offenbar nicht wie bei der weißblühenden Phaseolus multiflorus von dem Verschwinden eines Merkmals gesprochen werden kann. Man hat nämlich immer wieder darauf hingewiesen,daß fast alle bisher beobachteten Allogonien als Verlustallogonien anzusehen sind. Wäre dem allgemein so, dann konnte man nicht einsehen, wie sich die Organismenwelt in aufsteigender Linie bewegen sollte.

   Die Verwertung des Abnormen und Pathologischen in der Pflanzenkultur. (H. Molisch, Vortr. d. Ver. z. Verbreitg. naturw. Kenntn. in Wien, 56, 1916.) In einem kurzen Vortrag führt Molisch aus, wie das, was vom Standpunkt der Pflanze aus gesehen als abnorm oder pathologisch erscheint, mitunter gerade das Ziel gärtnerischer oder landwirtschaftlicher Züchtung wird. Diese Tatsache wird durch eine Reihe von Beispielen erläutert. Hierher gehört z. B. die bei vielen Zierpflanzen vorhandene sogenannte Panaschierung, die sich darin äußert, daß die Blätter ein weiß und grün oder gelb und grün gesprenkeltes Aussehen besitzen. Diese Erscheinung kommt dadurch zustande, daß an den verblaßten Stellen das Chlorophyll nicht oder nur mangelhaft ausgebildet ist. Da nun gerade das Chlorophyll bei der Ernährungstätigkeit der Pflanze eine hervorragende Rolle spielt, so scheiden die hellen Partien von der Stoffproduktion aus, und damit hängt es auch zusammen, daß total panaschierte Pflanzen nicht existenzfähig sind. Worauf die Panaschierung im einzelnen beruht, ist noch nicht eindeutig klargestellt. In manchen Fällen handelt es sich um eine infektiöse Erkrankung, die bei Pfropfungen auch auf die Unterlage übertragen werden kann. Als weiteres Beispiel führt Molisch die  "Vergeilung"  an. Diesen Vorgang, der beim Aufenthalt normal grüner Pflanzen im Dunkeln einsetzt und ebenfalls mit einer Unterdrückung der Chlorophyllbildung verbunden ist, kann man sehr leicht beim Auskeimem von Kartoffeln im Keller beobachten. Da die vergeilten Gewebe sich vielfach durch große Zartheit und Weiche auszeichnen, so spielt die künstliche Vergeilung in der Gemüsezucht eine große Rolle. So