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[[flush left]]80    Botanische Mitteilungen.    [[flush right]] [Die Naturwissenschaften

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werden die Spargelsprosse, wenn sie die Erdoberfläche
erreichen, mit hohen Tonglocken zugedeckt und die dicht stehenden Blätter der Endivie werden zu einem Schopf zusammengenbunden. So kommt im Innern durch die Verdunklung das vergeilte "Herz" zustande. Durch Selektion ist es dann gelungen, Salatformen mit ungemein dichter, eng zusammenschließender Beblätterung zu erzielen, die also von selbst einen Kopf bilden (Kopfsalat). Von den weiter angeführten Belegen (Trauerbäume, Verbänderung, Blütenfüllung, Blütendurchwachsung usw.) soll hier nur noch auf einen hingewiesen werden: "die Jungfernfrüchtigkeit" (Parthenokarpie). Es ist schon lange bekannt, daß manche Kulturpflanzen schöne, große Früchte ansetzen, ohne befruchtet zu sein (Banane, Gurke). Sie besitzen zwar keine keimfähigen Samen und müssen vom Züchter künstlich auf vegetativem Wege vermehrt werden. Aber gerade dieser Mangel kann in besonderen Fällen von großem Vorteil sein (Kernobst, Steinobst). So geht schon lange das Streben der Landwirte dahin, kernlose Äpfel zu kultivieren, und das ist in manchen Fällen auch schon gelungen. Leider sind aber bis jetzt bloß die Kerne geschwunden, nicht aber das vielleicht noch störendere Gehäuse. Auch die Birnen- und Pflaumenzucht hat schon ähnliche Erfolge zu verzeichnen: die sogenannte kernlose Pflaume besitzt Steine von weicher Beschaffenheit und es wird vielleicht gelingen, die Steinbildung vollständig zu unterdrücken. Auf diesem Gebiet ist also noch viele weitere Arbeit erforderlich. 

    Über die experimentelle Erzeugung von Pflanzen mit abweichenden Chromosomenzahlen. (Hans Winkler, Zeitschr. f. Bot. 8, 1916.) An die Entdeckung, daß Oenothera gigas, die von de Vries aus O. Lamarckiana gezüchtete Riesenmutante, in ihren Kernen doppelt soviel Chromosomen besitzt als die Mutterform, schlossen sich bald weitere interessante Beobachtungen an, die zutage förderten, daß in dem Formenkreis der Gattung Oenothera vielfach den Änderungen in der Gestalt solche im Chromosomensatz parallel gehen. Damit erhob sich naturgemäß die Frage, ob die Änderung der Chromosomenzahl ebenso wie die gleichzeitige Wandlung der sonstigen Eigenschaften nur ein Ausfluß des "Mutationsvermögens" ist, oder ob nicht vielleicht die Vermehrung des Chromosomensatzes als primärer Vorgang anzusehen ist, der eben die Gesamtheit der "Gigas"-Merkmale (Vergrößerung der Zellen, hohe Statur, kräftiger Wuchs usw.) nach sich zieht. Wäre dies der Fall, so hätten wir damit einen wichtigen Beleg für die Abhängigkeit äußerer Merkmale von der Kernstruktur. Eine Sicherheit darüber war aber erst zu erwarten, wenn es gelang, experimentell Individuen mit verdoppeltem Chromosomensatz herzustellen. Über solche Versuche berichtet Winkler. Seine Methode beruhte auf der Überlegung, daß eine Verdoppelung der Chromosomenzahl wahrscheinlich durch Kernverschmelzung zustande käme. Solche Verschmelzungen werden sich aber besonders leicht an den Verwachsungsstellen von Pfropfungen vollziehen; andererseits haben frühere Arbeiten von Winkler gezeigt, daß dann, wenn man bei Solanumkeilpfropfungen das aufgesetzte Reis an der Verwachsungsnaht durch einen glatten Schnitt abtrennt, aus der Wundfläche zahlreiche Adventivknospen hervorwachsen. Es be-

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stand also die Möglichkeit, daß diese Adventivbildungen unter Umständen ihren Ausgang von einer Zelle nehmen konnten, in der Kernverschmelzung und damit Chromosomenverdoppelung eingetreten war. Dann mußten alle Zellkerne des Schößlings diese vermehrte Chromosomenzahl besitzen. Tatsächlich ist es Winkler gelungen, unter einem sehr großen Beobachtungsmaterial solche Adventivsprosse zu finden, die dann als Setzlinge zu selbständigen Individuen gezogen werden konnten. Von der größten Bedeutung ist es nun, daß alle diese Pflanzen die typischen Merkmale der Gigasformen trugen. Und da eine solche morphologische Umgestaltung einzig und allein an den Adventivsprossen erkennbar war, die einen verdoppelten Chromosomensatz aufwiesen, so schließt Winkler mit Recht, daß die Gigaseigenschaften ein Ausfluß der Chromosomenverdoppelung sind. Diese Erfahrungen dürfen wohl auch auf die Oenotheraformen übertragen werden, und es ist wahrscheinlich, daß das Vermögen, Gigasformen zu bilden, unter den höheren Pflanzen weiter verbreitet ist. Dies ist das eine wichtige Resultat der Arbeit. Im weiteren Verfolg gelangte Winkler aber noch zu anderen, sehr bemerkenswerten Feststellungen. Es zeigte sich nämlich, daß in den verschiedenen Geweben eines Individuums die Chromosomenzahlen keinswegs so konstant sind, als man bisher angenommen hat. Diese Tatsache ist der Beobachtung bisher wohl deshalb entgangen, weil die zytologische Untersuchung sich hauptsächlich auf embryonale Zellen erstreckte. Winkler untersuchte nun die Kerne in verschiedenen differenzierten Geweben (Mark, Kollenchym usw.) und fand dabei neben Zellen, in denen bloß 1--3 überschüssige Chromosomen vorhanden waren, auch solche mit doppeltem bis achtfachem Chromosomensatz. Ein derart abweichendes Verhalten fordert natürlich zu einer Erklärung heraus, und Winkler denkt dabei an die Beziehungen zwischen Kern- und Zellgröße. Daß eine solche besteht, ist ja seit langem bekannt. Wächst eine Zelle über das normale Maß hinaus, dann bleiben ihr zwei Möglichkeiten: entweder Vermehrung der Kerne (einzellige Algen, die oft viele Meter lang werden, Milchröhren der höheren Pflanzen) oder aber Vergrößerung des Kerns unter Vermehrung des Chromosomenbestands. Ein prinzipieller Unterschied zwichen diesen zwei Wegen besteht nicht, da nach Winklers Ansicht die Kerne mit einem Vielfachen des normalen Chromosomensatzes durch Verschmelzungsvorgänge zustande kommen. Beachtung verdient nach dieser Richtung, daß für die Gigasformen gerade die erhebliche Zellgröße eines der charakteristischsten Merkmale ist. Es wäre äußerst wünschenswert, wenn die Untersuchungen Winklers über die Schwankungen der Chromosomenzahlen innerhalb eines einzelnen Individuums auf möglichst zahlreiche Objekte ausgedehnt würden. Sollte es sich dabei herausstellen, daß es sich hier um eine weit verbreitete Erscheinung handelt, so ist damit die Chromosomentheorie (besonders nach ihren vererbungstheoretischen Abzweigungen) trotzdem in keiner Weise gefährdet, da ja die Wandlungen des Chromosomenbestands außerhalb der Keimbahnen liegen und die Konstanz von Generation zu Generation somit erhalten bleibt. P. Stark, Leipzig. 
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Für die Redaktion verantwortlich: Dr. Arnold Berliner, Berlin W 9. Verlag von Julius Springer in Berlin W 9. -- Druck von H.S. Herman in Berlin SW.

Transcription Notes:
For the eszett, a double "s" was used.