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ein Sitz für den Beobachter angebracht ist, der hier eingeschlossen wird. Befindet sich nun der dritte Rahmen außerhalb der Drehachse, so tritt sofort nach Beginn der Rotation für den Beobachter eine fühlbare, von der Geschwindigkeit der Drehung abhängige Neigung des Papierkastens ein, welche er mit zwingender Gewalt wahrnimmt, obwohl ihm bei seiner Abgeschlossenheit alle Anhaltspunkte für dieses sein Urteil fehlen. Wird der Apparat plötzlich angehalten, so fühlt sich der Beobachter samt dem Kasten in lebhafter Gegendrehung, obwohl er zum voraus bestimmt weiß, daß nun alles in Ruhe sein muß. Die Empfindung der Gegendrehung klingt allmählich ab. Das Organ für diese Empfindungen muß aber im Kopfe seinen Sitz haben, denn sonst könnte die Achse der scheinbaren Drehung sich nicht mit dem Kopfe mitbewegen. Mach sagt, im Augenblicke dieser Beobachtung sei ihm eine ganze Illumination aufgegangen. Ihm fielen die Jugenderinnerungen über den Drehschwindel ein. Seine Experimente hatten den schlagenden Beweis für die scharfsinnige Vermutung des Physiologen Goltz geliefert, daß die Bogengänge Sinnesorgane für das Gleichgewicht des Kopfes und mittelbar des ganzen Körpers sind.
Ein Vorfall, der den gewöhnlichen Beobachter wahrscheinlich gleichgültig lassen würde, eine Bemerkung in einem Vortrag, die an Tausenden unbeachtet vorübergehen würde, lösen in Mach eine Fragestellung aus, die ihn nicht zur Ruhe kommen läßt, bis er den strittigen Punkt durch das Experiment entschieden hat. So wurde er zu den Versuchen, welche am meisten ins große Publikum gedrungen sind, zu den Versuchen über fliegende Projektile, durch eine Bemerkung des belgischen Ballistikers Melsens angeregt¹), der 1881 in Paris einen Vortrag hielt, dem Mach anwohnte. Melsens sprach die Behauptung aus, daß Geschosse, welche mit sehr großer Geschwindigkeit fliegen, stets größere Massen Luft mit sich führen. Dies schien Mach unwahrscheinlich und in ihm erwachte der Wunsch, Melsens Behauptung durch das Experiment zu prüfen. Seine diesbezüglichen Versuche begannen ganz im kleinen im Jahre 1884 mit einer Reiterpistole, wurden aber dann in großem Maßstabe in Pola und in Essen (bei Krupp) fortgesetzt. Momentanbeleuchtung durch den elektrischen Funken, Schlierenmethode und photographische Fixierung des Projektils waren die Hilfsmittel, durch welche es Mach gelang, nicht nur das fliegende Geschoß, sondern auch die erregten Luftwellen, die Kopf- und Bugwellen, zu photographieren, und den Nachweis zu liefern, daß in jedem Augenblicke solche Wellen, aber nicht Massen von Luft von dem Geschoß ausgehen. Durch diese Versuche Machs wurde auch die schon längere Zeit den Praktikern bekannte, aber sehr unbefriedigend gedeutete Tatsache, daß bei Projektilen, deren Geschwindigkeit größer als die Schallgeschwindigkeit ist, ein doppelter Knall, u. zw. von zwei verschiedenen Fortpflanzungsgeschwindigkeiten, ausgelöst wird, vollständig aufgeklärt. Man vernimmt die vom Projektil ausgehende Knallwelle und dann die aus dem Laufe kommende.
Ende 1871 beginnt in einem Vortrage, den Mach in der königl. böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften hielt, eine sehr wichtige Seite der Machschen Ideen deutlichere Form anzunehmen, von der vereinzelte Spuren schon in seinen früheren Werken zu finden waren. Ich meine seine historisch-kritischen Untersuchungen über die Entwicklung einzelner Sätze der Physik. Der betreffende Vortrag erschien 1872 unter dem Titel: Die Geschichte und die Wurzel des Satzes von der Erhaltung der
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¹) Louis Melsens. Passage des projectiles à travers les milieux resistants. Comptes rendus. 93.