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hinter dem Ich; es ist unser Leib. Aber mit jeder neuen physiologischen oder psychologischen Beobachtung wird uns das Ich besser bekannt. Die introspektive und experimentelle Psychologie, die Hirnanatomie und Psychopathologie, welcher wir schon so viele Aufklärungen verdanken, arbeiten hier der Physik (im weitesten Sinne) kräftig entgegen, um sich mit ihr zu eindringenderer Wirksamkeit zu ergänzen. Wir können hoffen, daß sich alle vernünftigen Fragen nach und nach der Beantwortung nähern werden.
Nicht das Ich ist das Primäre, sondern die Empfindungen bilden das Ich. Ich empfinde Grün, heißt, daß das Element Grün in einem gewissen Komplex von anderen Elementen (Empfindungen, Erinnerungen) in meinem Ich vorkommt. Wenn ich sterbe, so kommen die Elemente nicht mehr in der gewohnten geläufigen Gesellschaft vor. Damit ist alles gesagt. Nur eine ideelle, denkökonomische, keine reelle Einheit hat zu bestehen aufgehört. Das Ich ist keine unveränderliche, bestimmte, scharf begrenzte Einheit. Nicht auf die Unveränderlichkeit, nicht auf die Unterscheidbarkeit von anderen, nicht auf die scharfe Begrenzung kommt es an, alle diese Elemente variieren im individuellen Leben von selbst und ihre Veränderung wird sogar vom Individuum angestrebt. Wichtig ist nur die Kontinuität, welche nur ein Mittel ist, den Inhalt des Ich vorzubereiten und zu sichern. Dieser Inhalt und nicht das Ich ist die Hauptsache, denn bis auf geringfügige, wertlose, persönliche Erinnerungen, bleibt er nach dem Tode des Individuums in andern erhalten. Die Bewußtseinselemente eines Individuums hängen untereinander stark, mit jenen eines anderen schwach und nur gelegentlich zusammen. Bewußtseinsinhalte von allgemeiner Bedeutung durchbrechen aber diese Schranken und führen, unabhängig von der Person, durch welche sie sich entwickelt haben, ein unpersönliches, überpersönliches Leben fort. Zu diesem beizutragen, gehört zu dem größten Glück des Künstlers, Forschers, Erfinders, Sozialreformers.
Was den Raum anlangt, so unterscheidet Mach scharf zwischen dem geometrischen und dem physiologischen Raum; diesen Unterschied präzisiert zu haben, ist ein großes Verdienst Machs. Der geometrische (euklidische) Raum ist homogen, unbegrenzt und unendlich, der physiologische nicht homogen, begrenzt und endlich. Dem oben und unten, links und rechts, nah und fern entsprechen vollständig verschiedene Empfindungen. Der physiologische Raum ist auch nicht metrisch; das Augenmaß, die quantitativen Entfernungen entwickeln sich erst durch physikalisch-metrische Erfahrung. 
Mach hat wohl zuerst die Annahme eingeführt, daß unser Raum ein spezieller Fall eines allgemein denkbaren Falles von mehrfacher quantitativer Mannigfaltigkeit sei. Aber unser physiologischer Raum, der Raum des Gesichtes und Getastes ist eine dreifache Mannigfaltigkeit, die durch unsere körperliche Organisation gegeben ist. 
Ein absoluter Raum ist ebenso haltlos wie eine absolute Zeit. Für den Naturforscher ist jede zeitliche Bestimmung die abgekürzte Bezeichnung der Abhängigkeit einer Erscheinung von einer anderen und durchaus nichts weiter. 
Auch bezüglich der Zeit unterscheidet Mach scharf zwischen der physiologischen (die auf unserer Zeitempfindung beruht) und der physikalischen, bei welcher letzterer wir identische oder wenigstens als identisch vorausgesetzte Vorgänge als Maßstab anlegen, wie Pendelschwingungen, Erdrotation usw. Gewöhnlich wird dann an Stelle der Zeitempfindung eine Raumempfindung (Drehungswinkel der Erde, Weg des Zeigers auf dem Zifferblatt) gesetzt. Ähnlich richtet sich unsere Temperaturbestimmung