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nicht nach unserer Wärmeempfindung, sondern nach der Ausdehnung des Quecksilbers im Thermometer.
Kausalität. Schon Aristoteles unterschied zwischen wirkender Ursache und Endursache oder Zweck. Bei physikalischen Erscheinungen denken wir durchaus an ihre Ursachen, bei biologischen an ihren Zweck. Die Beschleunigung eines Körpers ist durch die wirkenden Ursachen, durch die Gegenwart anderer gravitierender, magnetischer, elektrischer Körper bestimmt. Die Wachstumserscheinungen einer Pflanze, eines Tieres in ihren eigentümlichen bestimmten Formen, die Instinkthandlungen eines Tieres vermögen wir gegenwärtig meist nicht aus wirkenden Ursachen abzuleiten, sie werden aber aus dem Zweck der Selbsterhaltung, der Erhaltung der Art verständlich. Erst in neuerer Zeit ist durch pflanzen- und tierphysiologische Versuche (Sachs, Loeb) ein kausales Verständnis von biologischen Tatsachen angebahnt worden. Wie nützlich der Zweckbegriff der biologischen Forschung gewesen ist, darüber gibt die Geschichte der Wissenschaft Aufschluß. Man denke nur an Keplers Untersuchung des Auges. Die Akkommodation war ihm nach dem Zweck des Auges, nach der Tatsache deutlichen Sehens in verschiedener Entfernung nicht zweifelhaft. Der Vorgang der Akkommodation wurde erst dritthalb Jahrhunderte später durch Helmholtz enthüllt. Harvey versuchte sich den Zweck der Stellung der Herz- und Venenklappen klar zu machen und entdeckte den Blutlauf.
Die antiken Forscher unterschieden noch nicht scharf zwischen Ursache auf physikalischem und Zweck auf biologischem Gebiete. Aristoteles läßt die schweren Körper ihren Ort suchen, Heron glaubt, daß die Natur das Licht aus Ersparungsrücksichten auf den kürzesten Wegen führe. Durch eine unscheinbare Wendung des Gedankens kann übrigens jede teleologische Frage so formuliert werden, daß der Zweckbegriff aus dem Spiel bleibt. Das Auge sieht in verschiedene Entfernungen deutlich; sein dioptischer Apparat muß also veränderlich sein. Herz- und Venenklappen öffnen sich alle in demselben Sinne, folglich ist die Blutbewegung nur in diesem Sinne möglich.
Die alte Vorstellung von der Kausalität ist etwas apothekermäßig: Auf eine Dosis Ursache folgt eine Dosis Wirkung. Die Verhältnisse in der Natur sind aber selten so einfach, daß man nur eine Ursache, und nur eine Wirkung angeben könnte. Daher hat Mach versucht, den Ursachenbegriff durch den mathematischen Funktionsbegriff zu ersetzen: Abhängigkeit der Erscheinungen voneinander, genauer Abhängigkeit der Merkmale der Erscheinungen voneinander, ein Begriff, der sowohl der Erweiterung als der Beschränkung fähig ist. Ein einfaches Beispel gibt das Verhalten gravitierender Massen. Die Massen A,B,C,D . . bestimmen einander gegenüber Beschleunigungen, welche mit den Massen zugleich gegeben sind. Die Beschleunigungen geben die Geschwindigkeiten an, welche in einer künftigen Zeit erreicht sein werden. Es sind dadurch die Lagen von A,B,C,D . . für jede Zeit bestimmt. Das physikalische Zeitmaß gründet sich aber auf die Drehung der Erde, also auf Raummessung. Es ergibt sich also wieder Abhängigkeit der Lagen voneinander. So kommt auch in anderen Fällen, z.B. beim Mariotte-Gay-Lussacschen Gesetze PV/T = Const. alles auf gegenseitige Abhängigkeit hinaus.
Das letzte große Werk Machs: >>Erkenntnis und Irrtum << gibt Skizzen zur Psychologie der Forschung und zur Methodenlehre. Der an sich trockene Stoff ist durch die mit außerordentlichem Geschick und Takt gewählten Beispiele aus der Geschichte der Forschung belebt und dadurch