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tiefer gehende Erschütterung ihrer Theorien, ihres Katalogisierungsystems, aufzunehmen vermochte.  Die Wissenschaft verfährt da ganz wie unser alltägliches Denken.  Wer diese weißsen Dinge da vor der schwarzen Tafel liegen sieht, ist geneigt, sie mit dem Namen Kreide in den Katalog seiner Alltagserfahrungen einzutragen, und damit zu erledigen, was er von ihnen zu erwarten hat.  Wenn aber auch nur eine weitere Erfahrung, das Befühlen oder ein Strich damit auf der Tafel, nicht zur Inventarnummer Kreide stimmt, geben wir ohne weiteres die anfängliche Einordnung preis und finden eine passendere.
	Diesen Aufbau der Wissenschaft wie des Alltagsdenkens aus Einzelerfahrungen, aus Erkenntniselementen, in klarer Folgerichtigkeit durchschaut zu haben, ist Machs Lebenswerk.  Alle Naturgesetze, wissenschaftlichen Begriffe und Theorien, die Körper selbst und die Stoffe, Raum, Zeit und Kausalität sind ihm nur Hilfsmittel zur Beschreibung all der vielfältigen Beziehungen, in denen jene Elemente zu einander stehen.  Die Elemente der Erfahrung sind die Bausteine, aus denen das Gebäude der Wissenschaft errichtet wurde, die Bausteine, aus denen das Gebäude der Wissenschaft errichtet wurde, die Raumanlagen in ihm aber, die Gewölbe und Säulen, die ganze Architektur dieses Gebäudes, der Stil, mit dem es auf uns wirkt, ist nicht von der Erfahrung vorgeschrieben, kann abgeändert und ganz preisgegeben werden, um neue Bausteine unterzubringen, bedenklich gewordene zu verwerfen.  Den Jünger der Wissenschaft lehrt man vor allem, ihr Gebäude als Ganzes erfassen, führt ihn in jenen Katalog ein, lehrt ihn etwa, um auf unser Beispiel zurückzukommen, die geologischen Schichten kennen:  - aber der Meister weißs, daßs es sich letzen Endes um die letzten Elemente der Erfahrung handelt, auf denen das Lehrgebäude aufgebaut ist;  erweist sich eine Gruppe dieser Elemente verbesserungsbedürftig oder verwerflich infolge des Eintretens neuer Erfahrungselemente, so kann das ganze Gebäude unzureichend, ja hinfällig werden und mußs sich Anbauten oder völligen Umbau gefallen lassen.
	Das alles ist für jeden Mann der Erfahrung so klar und selbstverständlich, daßs er verwundert ist, wenn man darüber Worte verliert.  Und doch ist diese der Erfahrung angemessene Auffassungsweise keineswegs die herrschende, auch nicht bei den Vertretern der Erfahrungswissenschaft.  So sagt z. B. Wiechert an einer Stelle, wo er die Art des physikalischen Denkens schildern will:  ,,Ich blicke auf und sehe vor mir das Bereich meines Arbeitszimmers mit seiner mannigfachen Einrichtung.  Ich merke dabei aber nichts davon, daßs in jedem, für meine Vorstellung winzig kleinen Teile des frei scheinenden Raumes im Zimmer unfaßsbar viele Atome in lebhafter Bewegung sind, daßs dort beständig vielfache chemische und physikalische Prozesse vor sich gehen, daßs oftmals Atome zerspringen u. s. f. Ich merke auch nichts davon, daßs der scheinbar freie Raum des Zimmers durchflutet wird von den mannigfachen elektrodynamischen Wellen, nichts davon, dafs die Gravitation von allen Teilen der Erde, vom Mond und von der Sonne diesen Raum durchzieht usw !  Werden die Menschen jemals mehr als unsichere Vermutungen über die Struktur der den Sinnen zunächst verborgenen Welt gewinnen können?"  Eine verborgene, sinnenfremde Welt erhebt sich als Vorstellung des Physikers, ,,die Welt ist meine Vorstellung" kennzeichnet sein Denken und führt zu jenem Du Bois Reymondschen Ignoramus!  Ignorabimus!, das je nach der Stimmung des Einzelnen verzweifelt oder gottergeben klingt!