Viewing page 505 of 732

This transcription has been completed. Contact us with corrections.

49

blieb er, bis ihm 1895 eine philosophische Professur in Wien übertragen wurde. Aber nachdem ihn 1898 das Unglück getroffen hatte, durch einen Schlaganfall rechtseitig gelähmt zu werden, trat er 1901 in den Ruhestand. 1912 zog er aus Familienrücksichten nach Haar bei München, wo er am 19. Februar 1916 starb. Die Milde seines Wesens, das wohlwollende, Hoffnungsfrische, das ihn erfüllte, wird von allen gerühmt, die ihn kannten, besonders eindringlich und ansprechend von Josef Popper-Lynkeus, der 50 Jahre mit ihm befreundet war. Kennzeichnend für seine Persönlichkeit ist wohl auch die Todesanzeige, die er sich selbst geschrieben hat und die nach seinem Tode an seine Bekannten gesendet wurde: "Bei seinem Ausscheiden aus dem Leben grüßt Professor Ernst Mach alle, die ihn kannten, und bittet, ihm ein heiteres Andenken zu bewahren. Das Begräbnis fand im engsten Familienkreise statt. Um stilles Beileid für die Familie wird gebeten."
Unter seinen fachlichen Leistungen auf dem Gebiete der Physik und Sinnesphysiologie sind die Erfolge am berühmtesten geworden, die ihm durch seine Anwendung der Toeplerschen Schlierenmethode auf die Vorgänge in der von einem fliegenden Geschoß erschütterten Luft beschieden waren. Sie sind grundlegend geworden für zahlreiche ballistische Untersuchungen militär-wissenschaftlicher Prüfungsstellen. Auch an seine Arbeiten über die Rolle, die dem Labyrinth im menschlischen Ohr bei der Erhaltung des Körpergleichgewichts zukommt, knüpften sich ganze Reihen von Untersuchungen, die von einem der letzten Nobelpreisträger, von Baranyi, zu einem praktisch medizinischen Erfolge geführt wurden. Andere wissenschaftliche Arbeiten Machs betreffen die stroboskopischen Erscheinungen, das Dopplersche Prinzip, die Gesichtswahrnehmungen und Sinnestäuschungen, die Polarisation und die Interferenz des Lichtes. Ganz besonders fruchtbar betätigte er sich auf dem Gebiete der physikalischen Demonstrationsversuche, von denen nur seine Wellenmaschine, sein Pendel um eine geneigte Achse, sein Polarisationsapparat mit rotierendem Analysator und seine Vorschläge zur Veranschaulichung des Schwerpunkts- und des Flächensatzes genannt sein mögen.
So bedeutend und nachwirkend auch diese Fachleistungen Machs sind, der Anlaß, an dieser Stelle seines Wirkens zu gedenken, sind sie allein nicht, sondern jene tiefe Gedankenschöpfung, deren Tragweite ich bereits gekennzeichnet habe. Sicherlich ist sein Fach, ist die Physik mit ihrer Beobachtungskunst und ihrer Aufmerksamkeit auf die beobachtenden Sinne, eine der wichtigsten Quellen für jene alles menschliche Denken betreffenden letzten Fragen, aber andere Anregungen haben mächtig mitgewirkt, daß der Ertrag seiner Geistesarbeit weit über sein Fachgebiet und weit über seine Zeit hinausleuchtet.
Zwar Philosoph will er nicht genannt werden, aber die philosophische Eigenart, über das Sonderfach hinaus sich Rechenschaft über unser menschliches Denken überhaupt, über das allgemeine und das alltägliche Denken zu geben, hat ihn doch früh schon erfaßt. Er berichtet, daß ihm schon im Alter von 15 Jahren Kant in die Hände gekommen sei und ihn tief beschäftigt habe. Vor allem reizte das Ding an sich seinen Widerspruch, bis er es innerlich überwunden hatte. Im Zusammenspiel mit seinem Fachgebiet entwickelt sich aus solchen philosophischen Anregungen in ihm die große Frage: Was unterscheidet das wissenschaftliche Denken vom Alltagsdenken, welche Abart unserer instinktiven Denktätigkeit ist unsere wissenschaftliche?