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Und da hat nun ein anderer großer Gedankenkreis auch schon sehr früh sein Nachdenken befruchtet: Schon auf der Schule 1854 hörte er von Lamarcks Ideen und 1859 lernte er Darwins Werk kennen. Als biologische Entwickelung erscheint ihm nun der Anstieg von der einfachen Denktätigkeit, die jedes Lebewesen anwendet, um seine Beute zu finden und zu fassen, bis zur wissenschaftlichen Forschung. Jedes Naturgesetz ist eine Einschränkung dessen, was wir vom Naturlauf erwarten können, ebenso wie die Erfahrung im Alltagsleben uns und jedes Lebewesen einschränkend auf die rechten Bahnen der Erhaltung des Einzeldaseins und der Art weist. Alle Erkenntnis ist Anpassung an die Tatsachen, die uns die Erfahrung darbietet.
Schon diese biologischen Gesichtspunkte führen dann Mach weiter dazu, im Denken einen ökonomischen Vorgang zu sehen, der sich auf die einfachste, die bequemste Weise den Erfahrungen anpaßt. Unter dem Einfluß des Nationalökonomen Herrmann, des Erfinders der Postkarte, nimmt dieser Gedanke geradezu die Gestalt der wirtschaftlichen Sparsamkeit an, und wir können auch für diesen wesentlichen Zug des Machschen Denkens die Zeit seines ersten Auftretens angeben: in dem 1868 gehaltenen Vortrag über die Gestalt der Flüssigkeiten tritt er zum erstenmale hervor. Übrigens berührt sich Mach auch in diesem Punkte mit seinem Geistesverwandten Avenarius, der in seiner Erstlingschrift das Prinzip des kleinsten Kraftmaßes aufstellt. Als Ideal der Ökonomie erschien Mach die Mathematik, deren Formulierungen am strengsten der Forderung entsprechen, die darzustellenden Beziehungen mit geringstem Aufwand wiederzugeben.
Geradezu beherrschend im Mittelpunkte des Machschen Denkens steht der Entwickelungsgedanke. Er führt Mach zunächst zur geschichtlichen Darstellung der Wissenschaft in der Absicht, beim Nachspüren der Entstehung jedes Gedankens aus der Erfahrung ihn kritisch zu klären, ihn loszulösen von dem unnützen Beiwerk, das sich in ihn hineingedrängt hat, die Scheinprobleme wegzufegen.
Da liegt sein letztes Werk vor mir, kurz vor seinem Tode erschienen, nur ein Abriß, ein Entwurf: Mechanik und Kultur 1915. Er will darauf hinweisen, wie die älteste einfachste Technik zur Wissenschaft, zur Kultur überhaupt, auf einen Jahrtausende langen Wege hinleitet, daß die eigentlichen Träger der Kultur nicht die Kämpfer und Häuptlinge sind, die etwa in der Steinzeit um den Besitz einer guten Fund- und Bearbeitungstätte für Feuersteine ringen, sondern die von ihnen verachteten und niedergehaltenen Werktätigen, die ihre technischen und wirtschaftlichen Verfahren langsam vervollkommnen und den Nachkommen überliefern.
Vor allem aber gehört hierher das erste größere Werk, das Mach veröffentlichte, und das seinen Ruf begründete: Die Mechanik, in ihrer Entwickelung historisch-kritisch dargestellt 1883. Da wird der Gedanke, den Kirchhhoff in seiner Mechanik 1876 ausgesprochen und ausgeführt hatte, die Mechanik hat die Aufgabe, die Bewegungserscheinungen vollständig und auf die einfachste Art zu beschreiben, ebenso in seiner Bedeutung für die geschichtliche Entwickelung der Mechanik verfolgt wie in die Tiefen der Erkenntnislehre. Die Schilderung der Entwickelung unserer Gedanken über den Hebel z.B. oder über den Flüssigkeitsdruck sind Kabinettstücke feinsinniger Darstellung der geistigen Entwickelung. Nicht das ist die Aufgabe der Mechanik, die Bewegungsvorgänge durch Kräfte