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Blick auf die Mitmenschen, auf das soziale Ganze, wesentlich sein möge für alle Fragen der Ethik und Ästhetik, doch gerade vor den größten ethischen und ästhetischen Entscheidungen die Beachtung der Anderen versagt, Pflicht und Gewissen entscheiden dann und nicht die Majorität der Zeitgenossen, seinem Ureigentsten folgt in seinen größten Augenblicken der Künstler und nicht der Nachfrage des Marktes. Aber auch dieses tiefgründige Bedenken erledigt sich zu Gunsten der Machschen Philosophie, wenn man sich ihrer Auffassung des Ichs erinnert. Es ist ein Sammelbegriff, der Inbegriff all der Erfahrungsbeziehungen zu mir, also ein Mikrokosmos, der den wiederspiegelt, den wir als das soziale Ganze bezeichnen. Je reicher nun ein Innenleben die Mannigfaltigkeit der anderen Seelen wiedergibt, je vielseitiger sein Interesse, um so vollkommener wird es imstande sein, Entscheidungen von ethischer und ästhetischer Wirkung zu treffen. In ästhetischer Beziehung ist für uns Deutsche Goethe, in politischer Bismarck, das Muster eines Geistes, der, aus eignen reichen Lebenserfahrungen schöpfend, schöpferisch auf die Umwelt wirkt. 
Das Lebensbild Machs wäre unvollständig, wenn ich nicht noch des pädagogischen Interesses gedächte, das - wohl ein Erbstück vom Vater - all sein Wirken durchzieht. Die Pädagogik, diese Technik der Psychologie, hat gewiß Mach auf die ökonomischen Gesichtspunkte geführt, die seine Lehre kennzeichnen. Er hat sie aber auch geradezu betätigt, indem er vortreffliche Schulbücher der Physik schrieb, auch 1863 ein Kompendium für Mediziner. Poskes Zeitschrift für physikalischen Unterricht hat er mitbegründet und sich in einer für die deutschen Realgymnasien noch schweren Zeit 1886 für ihre Eigenart eingesetzt mit der in Dortmund gehaltenen Rede über den relativen Bildungswert der philologischen und der mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterrichtsfächer. Vor allem aber zeigen seine physikalischen Demonstrationsapparate den sicheren Blick für das im Unterricht Zweckmässige, und seine populär-wissenschaftlichen Vorlesungen 1896 sind Muster eindringlichster Klarheit. Als ein liebenswürdiges Zeugnis für sein Versenken in andere Eigenart sei noch betont, wie er sich in seinen letzten Jahren eingehend mit Spatzen beschäftigt hat, deren Benehmen als seine Haus- und Tischgenossen mit dem aufmerksamen Blicke des Naturforschers beobachtend.
So steht das Gesamtbild seines Wirkens und Strebens vor mir. Wenn es mir gelungen ist, etwas von seines Geistes Hauch zu seinem Gedächtnis in meinen Worten zu überliefern, dann werden Sie den Eindruck davontragen, daß auch dieses so stille Gelehrten- und Lehrerdasein, so mißverstanden oft in seinen tiefsten Zügen, durchlodert ist von jenem Feuer, das uns nie verfliegt.
Von jener Glut, die früher oder später
Den Widerstand der stumpfen Welt besiegt!