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60  A. HÖFLER, NACHRUF FÜR ERNST MACH. 
Zeitschrift für den physikalischen
Neunundzwanzigster Jahrgang. 
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wenig bebautes Gebiet; und Gleichwertiges erwarten wir auch von der nur nach seinem Tode durch den Verlag J. A. Barth noch für 1916 in Aussicht gestellten "Geschichte der Optik", an der MACH jahrzehntelang bis zu seinem Tode gearbeitet hat. 
Was MACH in den angeführten Eingangsworten seines kleinen didaktischen Aufsatzes darüber gesagt hatte, daß auch schon das Denken des allerjüngsten Anfängers nicht verdunkelt werden dürfe durch ein Einmischen unklarer Begriffe oder gar nur leerer Wörter in die vor allem sinnlich aufzufassenden Tatsachen, enthält wie in einem ersten Lebenskeim die Wurzeln und die ganze Organik seines erkenntniskritischen Programms. Wenn auch das Verweisen auf die "Tatsachen" Demjenigen allzu selbstverständlich klingt, der eben noch gar nicht ahnt, wie nur allzuleicht schon manchen vermeintlichen reinen Tatsachen unnütze Theorien eingemengt werden, der wird dagegen umsomehr stutzig werden, wenn MACH schon vom ersten Physikunterricht verlangt, daß er beim Zurückgehen auf die Tatsachen noch weiter, ausdrücklich bis zu "Empfindungen", zurückgehe. Da nun aber Empfindungen Psychisches sind und der erkenntnistheoretisch naive Physiker es eben mit dem Physischen und ganz unmittelbar nur mit diesem zu tun haben will, so setzen an diesem Punkte schon alle Streitigkeiten ein, die ich in dem Aufsatz über MACHS Philosophie von physikalischer Seite her charakterisiert hatte, z. B. auch PLANCKS heftiger Einspruch. 4) Wenn aber in den Kämpfen um MACHS Philosophie (sie drangen in die Öffentlchkeit seit seiner Übernahme der philosophischen Lehrkanzel in Wien 1895, die er dann schon nach 5 Jahren infolge halbseitiger Lähmung für immer zu verlassen gezwungen war und auf der ihm für 1903 BOLTZMANN folgte) gegen Machs Sensualismus auch ich in philosophischen Schriften wiederholt Stellung zu nehmen hatte, so habe ich doch um so ausdrücklicher in meiner Naturlehre dem zweiten Hauptteil die Überschrift gegeben: "Wärme, Schall, Licht (Physik der Sinnesqualitäten)". Und daß ich zu dieser Ketzerei gegen das in der Physik und Physiklehrbüchern Althergebrachte den Mut fand, verdanke und danke ich noch heute ganz den Anregungen MACHS, der eben auch in seinen zum Teil zusammen mit ODSTRCIL verfaßten Schulbüchern für die Unter - und Oberstufe ein solches Zurückgehen auf die vom Schüler in jedem Augenblick erlebbaren Sinnesqualitäten zum Ausgangspunkt seiner Darstellung für jüngste und junge Anfänger zu machen gewagt hatte. Dieser psychologische Grundton mag dann freilich eine der Teilursachen 5) gewesen sein, warum so wenig sein wie mein Buch den Weg in die Schulzimmer (wenigstens in die österreichischen) gefunden hat. Aber man muß eben Geduld haben, bis physikalische und psychologische Weltbetrachtung künftig einander nicht mehr entgegenstehen, sondern entgegenwachsen werden, wie es MACH vielleicht allzu stürmisch für die Physik und die Philosophie in Gang zu setzen suchte. Dann aber wird auch der Physikunterricht von MACHS Geist noch belebt sein in einer Zukunft, die seiner als Didaktikers vergessen haben wird über seiner typischen Stellung in der Geschichte der Philosophie, genauer: im philosophischen und antiphilosophischen Sturm und Drang unserer Jahrzehnte. 
Als didaktisch im höheren, ja höchsten Sinn dürfen wir aber auch sogleich sein erstes Auftreten mit physikalischen Arbeiten bezeichnen, da es ein Auftreten gegen die Moden der wissenschaftlichen Physik und ihrer Darstellung während der damaligen Jahrzehnte gewesen ist. "Die Wärme eine Art der Bewegung" war die große Neuigkeit der sechziger Jahre. Wenn der kinetischen Gastheorie einige Jahrzehnte später die "hypothesenfreie" Thermodynamik an die Seite getreten schien und sich dabei 
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4) Vgl. diese Ztschr. XXIII, S. 12.
5) Eine summarische und wirksamere Ursache wird freilich der selbst wieder aus vielen Teilursachen sich zusammensetzende Konservativismus in Sachen der Lehrbücher gewesen sein, den TIMERDING (Die Mathematik in den physikalischen Lehrbüchern) mit Recht als einen der stärksten Widerstände gegen ein rascheres Fortschreiten unseres Unterrichts näher schildert.