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und chemischen Unterricht. 
Heft 11. März 1916.
A.HÖFLER, NACHRUF FÜR ERNST MACH.        61
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vor allem auf Mach berief, wenn auch diese von OSTWALD weiter gepflegte Richtung in unseren Tagen wieder zurücktritt 6) hinter der von den Molekülen und Atomen zu Elektronen und selbst Energiequanten vordringenden Atomistik höherer Ordnung - so finden wir MACH in den Anfängen und überraschenderweise sogar im vorläufigen Ergebnis dieser Kämpfe nicht unter den Besiegten, sondern unter den noch immer vordringenden Führern. Ich meine das so: Was MACH in jenem kleinen Aufsatz über den Unterricht in der Wärmelehre als das "Beginnen mit 1/2 mv²" unter ein didaktisches Fragezeichen stellt, war zur Zeit von MACHS Anfängen zum wissenschaftlichen Dogma geworden. Und vielleicht war es der damals erregte Ingrimm, nicht einmal mehr fragen zu sollen um das, was man ja doch nicht "sehen" konnte, der MACH später zum grimmigen Feinde alles dessen gemacht hat, was Dogmatik war oder auch nur wie solche aussah - wobei freilich sein Grimm fast immer noch die Form liebenswürdigen Humors fand. So erzählte er mir, daß, als er mit dem Mineralogen und Physiker GRAILICH einmal über Polarisation sprach und dieser ihm sagte: "Nun, das werden Sie doch nicht bestreiten, daß das Licht in transversalen Wellen besteht", er mit der Frage geantwortet habe: "Haben Sie's g'sehen?"  Vielleicht - wenn die Physik zur Zeit von TYNDALLS "Wärme eine Art Bewegung" und von REIS' übrigens so tüchtigem Lehrbuch der Physik nicht mit dem 1/2 mv² und mit dem elastischen Äther "begonnen" hätten und wenn man es nicht unter seiner Würde gehalten hätte, zuerst von den "Tatsachen" zu sprechen und innerhalb dieser klar abzugrenzen, wie weit die Empfindungsgrundlagen unseres Wissens reichen und auf welchen Gedankenwegen man dann von den Empfindungen bis zu ihren unwahrnehmbar bleibenden Erregern den einzig logisch möglichen Weg zu gehen habe - so wäre MACH vielleicht nie so weit - wie auch ich glaube: allzu weit - vorgestürmt. Wohin ihm die meisten Physiker unserer Tage und umsomehr eine Mehrzahl von Philosophen nicht folgen mögen, läßt sich vielleicht am kürzesten so bezeichnen: MACH wollte nicht nur, wie es seine erste ausdrücklich philosophische Schrift "Analyse der Empfindungen" (1886) anzukündigen scheint, die Empfindungen analysieren, sondern schlechthin die ganze Welt, die physische samt der psychischen, in Empfindungen, (Empfindungsinhalte, die er dann "Elemente" nannte) auflösen, auf bloße Empfindungen "zurückführen". Von der kühnen These des theoretischen Idealismus "Die Welt ist meine Vorstellung" unterscheidet sich MACHS "Die Welt ist meine Empfindung" nur dadurch, daß es nach MACH eben auch kein Ich außer dem Empfindungs - und Erinnerungsbild von "meinem" Leibe gibt. Mit diesem Programm war Mach zum Metaphysiker geworden, trotzdem gerade dieses Buch mit "antimetaphysischen Betrachtungen" begann. - Wann werden wir einmal eine wirklich antimetaphysische Physik (und Psychologie) statt aller metaphysischen und antimetaphysischen haben? Wird nicht erst "Erkenntniskritik" (wie MACH zu sagen liebte), sondern eine schlichte Erkenntnistheorie, die nicht mehr und nicht weniger als die Beschreibung und Erklärung der gesamten, also auch der physikalischen Erkenntnispraxis zu bieten sich vorsetzt, Gemeingut auch aller physikalischen Forscher sein, dann wird man dankbar MACHS als eines der Ersten gedenken, der die Nützlichkeit (wenn auch nicht Unentbehrlichkeit) solcher Theorie für eine durch metaphysische und antimetaphysische Moden nicht mehr zu beirrende Erkenntnispraxis namentlich den Physikern zum Bewußtsein gebracht hat.
Noch viel empfindlicher aber als die physikalischen Forscher werden dann alle Lehrer der Physik gegen Verstöße gegen das oberste Gebot aller Logik sein, niemals einem Lernenden die Theorie einschließlich der Hypothesen früher zu verraten, als bis er selbst die Tatsachen "gesehen" hat. Auch der kleinste Anfänger wird dann,
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6) Lebhaft geschildert von Hasenöhrl (der am 7. Oktober 1915 im Kampfe gegen Italien gefallen ist) in seiner Gedenkrede bei der Enthüllung des Denkmals für Boltzmann an der Universität Wien.