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613                        Anton Lampa:

schon mit erschöpft." Aus diesen Überlegungen über das Kausalgesetz folgt, daß die Welt eine Maschine ist, bei der die Bewegung gewisser Teile durch die Bewegung anderer bestimmt ist (Kausalgesetz), allein über die Bewegung der ganzen Maschine ist nichts bestimmt. Wo die ganze Maschine sozusagen hinaus will, ist durch das Kausalgesetz nicht gesagt, kann auch durch keinerlei Forschung ermittelt werden, ist keine wissenschaftliche Frage.
Wenn wir von einem Ding in der Welt sagen, daß es in einer gewissen Zeit eine gewisse Änderung erleiden wird, so setzen wir es als abhängig von einem anderen Teil der Welt, den wir als Uhr benützen. Wenn wir aber einen solchen Satz für die ganze Welt aussprechen, so begehen wir einen Fehler, weil wir dann nichts mehr übrig haben, worauf wir das Weltall wie auf eine Uhr beziehen. Für das Weltall gibt es keine Zeit. Darum haben auch Sätze, wie der Satz von der Dissipation der Energie, der in der Anwendung auf das Weltall zu der Behauptung von dem dereinstigen "Wärmetod" des Weltalls führt, keinen Sinn. "Naturwissenschaftliche Sätze von der erwähnten Art scheinen mir schlimmer als die schlimmsten philosophischen." Diese Kritik Machs erscheint ganz besonders bemerkenswert. Denn gerade solch allgemeine, das ganze Weltall betreffende Sätze gleißen gewissermaßen als die schönsten Blüten an dem Baume der Wissenschaft und nehmen das Interesse weitester Kreise in ganz anderer Weise gefangen als irgendwelche Detailfeststellungen. In ihnen glaubt man die Grundpfeiler für eine exakte Naturphilosophie zu erkennen. Um so wichtiger, um so bedeutungsvoller ist ihre kritische Analyse! Der Satz vom Wärmetod des Weltalls verletzt einen elementaren Instinkt. Es ist darum nicht zu verwundern, daß er auch solchen Forschern, welchen Machs kritische Betrachtungsweise ferne liegt, Unbehagen verursacht. Wahrscheinlichkeitsbetrachtungen boten einen Ausweg, der aber nur scheinbar von rein physikalischem Boden ausgeht. Machs Kritik trifft den Nerv der ganzen Frage.
Im Zusammenhang mit der Analyse des Kausalgesetzes liegt die Erörterung der Aufgabe der Forschung und die Bestimmung des Begriffes der Wissenschaft nahe. Sie wird in der Schrift ebenfalls gegeben. Die Aufgabe der Forschung ist die Ermittelung der Abhängigkeit der Erscheinungen voneinander. Dies würde aber zu einem riesen-

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haften Inventar führen, die Wissenschaft hat die Aufgabe, die Forschungsergebnisse ökonomisch darzustellen. Diese Aufgabe erfüllt sie durch die Formulierung von Gesetzen. Diese bieten einen bequemen und kompendiösen Ersatz für ein unzählige Einzelfälle umfassendes Inventar. Außer dieser Zusammenfassung möglichst vieler Tatsachen in eine übersichtliche Form hat die Wissenschaft noch eine andere Aufgabe, die ebenfalls ökonomischer Natur ist. Die hat die komplizierteren Tatsachen in mögichst wenige und möglichst einfache zu zerlegen. Dies nennen wir erklären.
In vollständiger Übereinstimmung mit Mach, aber unabhängig von ihm, hat Kirchhoff in seinen Vorlesungen über Mechanik definiert: "die in der Natur vor sich gehenden Bewegungen vollständig und auf die einfachste Weise zu beschreiben." Kirchhoffs Formulierung wirkt wohl zunächst befremdend, hat aber in der deutschen theoretischen Physik, so in den theoretischen Arbeiten von H. Hertz, nachhaltigen Einfluß geübt. Machs Schrift blieb ziemlich unbeachtet, und so ist es begreiflich, daß auch heute noch in Fachkreisen gelegentlich der Meinung Ausdruck gegeben wird, Mach habe seinen Standpunkt von Kirchhoff übernommen.
Im Dienste der beiden Funktionen der Wissenschaften stehen die Hypothesen und Theorien. Es ist wieder ökonomisch, wenn man versucht, neu entdeckte Erscheinungen auf die bestbekannten und geläufigsten zurückzuführen. Von diesem Gesichtspunkte aus würdigt Mach in rückhaltsloser Weise die Bestrebungen, die ganze Physik auf Mechanik zurückzuführen. Da ihm aber die mechanischen Vorgänge nur psychologisch und historisch als Grundlage der Physik erscheinen, sieht er die zeitgenössische Physik mit ganz anderen Augen an als seine Zeitgenossen. Sein freier Standpunkt gegenüber der damals herrschenden Grundansicht läßt ihn Betrachtungen anstellen, die vielen als Ketzereien, ja vielleicht sogar als Spott erscheinen mußten. Von hier aus wird die Gereiztheit verständlich, welche aus einzelnen Polemiken gegen ihn herausklingt. Freilich, berechtigt war solche Gereiztheit nicht und Mach hat sie darum auch, zumal er in Vornehmheit der polemischen Auseinandersetzung, die sich nie gegen die Person, sondern immer nur gegen die Sache wendete, geradezu als unübertreffbares Vorbild dasteht, wie eine Bösartigkeit empfunden, gegen welche ihm jede wirksame Waffe fehlte.