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617                     Anton Lampa:

fahren einer Eisenbahnkurve. Sie ließ sich leicht erklären, wenn man eine direkte Empfindung der resultierenden Massenbeschleunigung annahm. Obwohl mir die physiologische Seite des Gegenstandes, auch als ich wieder auf denselben verfiel, noch ganz fremd war, und ich die Arbeiten von Flourens und Goltz kaum dem Namen nach kannte, so war diese Spur Ferment doch genügend, um meine Gedanken in der Reichtung anzuregen, welche sie wirklich eingeschlagen haben." Seine Untersuchungen führten zu dem Ergebnis, daß gewisse Labyrinthreserven vermöge ihrer spezifischen Energie jeden Reiz mit einer Bewegungsempfindung beantworten, wodurch sich die Flourenschen Erscheinungen erklären. Dieser Reiz werde aber in der Regel durch den Labyrinthinhalt selbst gesetzt, welcher bei Bewegungen der Tiere das Schwerpunkt- und Flächenprinzip zu erfüllen strebt. Zu ähnlichen Ansichten gelangten bald nachher auch Breuer und Brown.
Mach lehrt eine spezifische Zeitempfindung, welche nach ihm mit der organischen Konsumption zusammenhängt. Wir empfinden die Arbeit der Aufmerksamkeit als Zeit. Nach dieser Auffassung ist die epfundene Zeit an die wachsende Arbeit der Aufmerksamkeit gebunden, es ist daher verständlich, daß sie analog der physikalischen nicht umkehrbar ist.
Im Jahre 1885 erschien dann der zusammenfassende Darstellung: "Beiträge zur Analyse der Empfindungen und das Verhältnis vom Physischen zum Psychischen", welche lange Jahre ein stilles Dasein führte, dann aber zahlreicheNauauflagen erlebte (6. Aufl. 1911). In den ersten Kapiteln dieses Werkes gibt Mach die Darstellung seines Standpunktes, welcher sich ihm aus der Synthese seiner physikalischen, historisch-kritischen und physiologisch-psychologischen Untersuchungen ergeben hat. Seine Absicht war, einen Standpunkt zu finden, den er nicht zu wechseln brauchte, wenn er von einem Gebiet zum anderen überging. 
Die mechanistische Auffassung gibt solchen Standpunkt nicht. Auch der Laplacesche Geist, welcher die Lage, Geschwindigkeit und Geschwindigkeitsrichtung aller Atome des Weltalls zu einem Zeitmoment überschaut, stößt bei dem Versuch, hieraus den Weltzustand im nächsten Moment abzuleiten, auf Probleme, denen gegenüber er sich mit dem Ignorabimus Emil du Bois-Reymonds beschreiben muß. Vom Standpunkt der mechanischen Auffassung führt keine Brücke zu den psychischen Erscheinungen und doch 

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zeigt uns unser Erleben eine innige Verflechtung physikalischer, physiologischer und psychischer Vorgänge; um sie der wissenschaftlichen Erfassung zugänglich zu machen, ist also eine einheitliche Grundansicht zu suchen, von welcher aus in jedes Einzelgebiet vorgedrungen werden kann. Eine solche Grundansicht ist eben die mechanische Weltansicht mit der Atomtheorie nicht. Hier liegt die tiefe Quelle für Machs Ablehnung der Atomtherie; aus dem höheren methodologischen Gesichtspunkt beschränkt er ihre Zulässigkeit auf die Rolle einer Arbeitshypothese für die Physik und Chemie. Als solche verliert sie naturgemäß für ihn die faszinierende Gewalt, welches sie auf das Denken der Nur-Physikers oder Nur-Chemikers ausübt und er strebt nach einer Physik und Chemie, welche dieser Krücke entbehren kann. 
Seine Bemühung um eine solche einheitliche Grundansicht haben die Zeitgenossen die Machsche Philosophie genannt. Mach selbst aber lehnt den Titel eines Philosophen ab; er will keine grundsätzlich neue Philosophie aus der Wiege heben, sondern eine alte, abgestandene aus der Naturwissenschaft entfernen. "Das Land des Transzendenten ist mir verschlossen. Und wenn ich noch hinzufüge, daß dessen Bewohner meine Wißbegierde ar nicht zu reizen vermögen, so kann man die wiete Kluft ermessen, welche zwischen vielen Philosophen und mir besteht." Eine abgeschlossene Weltansicht zu geben, lag ihm ferne; nach Mach besteht die Weisheit darin, die nicht abgeschlossene und niemals abschließbare wissenschaftliche Ansicht der Welt zu ertragen. "Es gibt --- keine Machsche Philosophie, sondern öchstens eine naturwissenschaftliche Methodologie und Erkenntnispsychologie, und beide sind, wie alle naturwissenschaftlichen Theorien, vorläufige unvollkommene Versuche." Bei der Aufsuchung eines Standpunktes, den er nicht zu wechseln brauchte, wenn er von der Physik zur Physiologie und Psychologie überging, ging er von dem natürlichen Weltbild aus, wie es jeder ohne sein zutun bei geistigem Erwachen in sich findet. Das Ergebnis seiner Analyse des natürlichen Weltbildes sit seine Elementenlehre. Die physischen Befunde lassen sich in derzeit nicht weiter zerlegbare Elemente auflösen: Farben, Töne, Drücke, Wärmen, Räume, Zeiten usw. Diese Elemente zeigen sich ahängig sowohl von Umständen, welche außerhalb der räumlichen Umgrenzung des eigenen Körpers, als auch von solchen, welche innerhalb derselben liegen. Insofern und nur insofern