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80      Dritter Abschnitt. 

soll man z. E. aus dem dunkelsten Schatten sowohl, als aus dem lichtesten urtheilen können, daß uns der Maler ein scharlachenes Gewand hat vorstellen wollen.

Die Farben zu dem Lichte müssen eben sowohl, als jene zu den Schatten rein und unbeschmutzt gelassen werden, und man darf keine Farben darunter bringen, welche nur zu den Schatten gehören.  Eben so wenig dürfen die Farben zu den Halbschatten und zurückweichenden Theilen schimmernd oder blendend aussehen; weil durch sie der Glanz und die Schönheit des Lichts erhoben werden muß.

Man muß nicht nur einen Grad der Halbschatten und Zurückweichungen, sondern mehrere Grade derselben anbringen, weil in der Natur ein Theil mehr, der andere weniger zurücksteht.  Die Farben für den Hauptschatten müssen so dunkel seyn, als es die nöthige Rundung in Vergleichung mit dem Lichte und dem Halbschatten erfordert.  Die stärksten Schatten richten sich auf gleiche Weise nach den übrigen.

Die Kolorirung des Schwarzen ist von den übrigen Farben ihrer sehr unterschieden; denn Schwarz muß seine größte Schönheit in dem Schatten zeigen, da hingegen andere Farben im Lichte schon, rein und glänzend erscheinen müssen.  Daher hat man bei Malung des Schwarzen wohl darauf zu sehen, daß die Schatten rein bleiben, und nicht durch andere widrige Farben schmutzig gemacht und verdorben werden.  Das Blaue muß eigentlich im Halbschatten in seiner größten Schönheit zu sehen seyn. 

Sind die Farben der Schatten aus Versehen zu stark gerathen; so dürfen sie nicht mit den Farben, so zum Lichte gewählet worden, geschwächt werden; sondern die Schatten müssen an ihrem Orte, den sie einnehmen, rein und pur erhalten, und nur mit solchen Farben geändert werden; die nichts vom Weißen haben, und an und für sich auch Schattenfarben sind.

II.

Der Ton oder die Wirkung der Luft.

Die Uebereinstimmung der Farben in Ansehung der Lage neben einander, und des Lichts und Schattens mit dem farbigen Gegenstande, nennt man den Ton in der Malerei.  Ein sanfter und leichter Uebergang ohne Sprünge von einer Farbe zur andern, welcher Uebergang hauptsächlich durch die Luft verursacht wird, macht das Wesentliche desselben aus.  Der Ton ist gleichsam der Charakter, das heißt: das Sittliche oder Leidenschaftliche des farbigten Lichts, das in einem Gemälde herrscht.