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Feuilleton.

Erinnerungen an Ernst Mach.

Von Wilhelm Jerusalem.

Mit Ernst Mach ist einer der bedeutendsten Männer dahingegangen, die Deutschösterreich hervorgebracht hat. Das wissen alle, die Machs Schriften gelesen und verstanden haben. Noch tiefer aber sind davon die wenigen durchdrungen, die das Glück hatten, dem Manne persönlich näher zu treten und sich seines Umganges zu erfreuen. Hier erst lernte man die geradezu unglaubliche Weite seines Geistes kennen, die schon überall gewesen war und alle Probleme durchdacht hatte. Wie erkannte man da, wenn es sich zeigte, daß der Physiker und Physiolog Mach in den alten Klassikern besser zu Hause war als mancher Philolog. Hier äußerte sich Mach oft drastischer und bildhafter als in seinen Schriften. Im vertrauten Gespräch erfuhr man seine wahre Meinung über die einzelnen Probleme, auch dort, wo Mach mit sich selbst noch nicht im reinen war, und das war besonders belehrend. Nicht selten kam es vor, daß ich irgendeinen Einfall ihm zur Prüfung vorlegte und er darauf eines seiner Bücher aufschlug und mir einen kurzen Satz zeigte, in welchem derselbe Gedanke ganz kurz, aber auch ganz präzis ausgedrückt war. Mach führte seinen berühmten Grundsatz der "Denkökonomie" eben auch in der Weise durch, daß er seine gewonnenen Einsichten in der schlichtesten und kürzesten Form zum Ausdruck brachte. Dadurch wurde man veranlaßt, seine Bücher langsamer, gründlich und besonders zu wiederholten Malen zu lesen. Und das ist unerläßlich, wenn man den fast unendlich großen Reichtum seiner Gedanken in sich aufnehmen will. Wenn ich nun aus der Fülle der Erinnerungen, die ein mehr als zwanzigjähriger Verkehr in mir zurückgelassen hat, einiges mitteilen soll, so geschieht dies vielleicht am besten so, daß ich die Erinnerungen am Faden seines Lebensganges aufreihe. Mach erzählte nämlich, wenn man ihn dazu anregte, nicht ungern aus seinem Leben, und so ergibt sich dabei die willkommene Gelegenheit, manches bisher Unbekannte mitzuteilen.
Den größten Teil seiner Jugend hat Ernst Mach in Siebenbrunn in Niederösterreich zugebracht, wo sein Vater ein Bauerngut erworben hatte. In den "Erinnerungen einer Erziehrerin", die Mach vor einigen Jahren herausgab (2. Auflage 1913 bei Braumüller), hat seine Schwester das Siebenbrunner Heim anschaulich geschildert. Dieses Buch, auf das ich in diesen Blättern gleich beim Erscheinen aufmerksam machte, wird jetzt zu einer wichtigen Quelle für den künftigen Biographen Machs werden. Machs Vater, der früher in mehreren adeligen Häusern Erzieher gewesen war, unterrichtete den Sohn selbst und brachte ihn so weit, daß er in die siebente Klasse des Gymnasiums von Kremsier eintreten konnte.
In Siebenbrunn hatte Mach neben dem Unterricht noch Zeit genug, in den Feldern und Auen herumzuschweifen, und die Beobachtungen und die Gedanken, die er hier erlebte, haben in gewissem Sinne den Grund gelegt zu der wissenschaftlichen Eigenart, die er später in sich ausbildete. Beim Anblick einer Windmühle, so erzählte er mir einmal, kam ihm plötzlich der Gedanke, daß nicht alles aus allem werden könne und daß jeder Vorgang seine bestimmte Ursache habe. Diese gewiß nicht besonders geistvolle und recht naheliegende Einsicht hat sich aber trotzdem bei ihm zu einer ganz originellen Auffassung des Naturgesetzes entwickelt. In seinem reifsten Werke, in dem Buche "Erkenntnis und Irrtum", definiert nämlich Mach den vielerörterten Begriff des Naturgesetzes folgendermaßen: "Ihrem Ursprunge nach sind die "Naturgesetze" Einschränkungen, die wir unter Leitung der Erfahrung unserer Erwartung vorschreiben." Die tiefe Beziehung des Naturgesetzes zum menschlichen Erkennen und zum menschlichen Leben ist noch nie mit solcher Klarheit erkannt und ausgesprochen worden. Für die gegenwärtig in Deutschland herrschende Richtung in der Philosophie ist es bezeichnend, daß diese tiefdringende Definition Machs in mehreren unlängst erschienenen