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Abhandlungen, die sich ganz speziell mit dem Begriff des Naturgesetzes beschäftigen, gar nicht erwähnt wird. 
Von seiner Gymnasialzeit in Kremsier erzählte Mach nicht ungern. Die Lektüre der lateinischen und griechischen Autoren betreb er gern, und das Verständnis gelang ihm leicht. Dagegen lagen ihm die grammatischen Uebungen weniger. Besonders schwer wurde es ihm, die zahlreichen Geschichtsbücher von Pütz dem Gedächtnisse einzuprägen. Von den Lehrern lobte er am meisten die, die zum Selbstdenken anregten. 
Von der Universitätszeit (1855 bis 1859), die er in Wien zubrachte, sprach er selten. Es scheint, daß er sich im Laboratorium und in der Bibliothek selbst weiterbrachte. Dagegen wurde er viel lebhafter, wenn er auf seine Dozentenjahre (1861 bis 1864) zu sprechen kam. Hier sammelte sich um ihn ein kleiner Freundeskreis, zu dem unter anderem der Physiker Lang, der Botaniker Wiesner, der Nationalökonom Herrmann, der Pädagog Krieschek, der Aesthetiker Kulka und vor allem der Ingenieur [[underlined]] Josef Popper [[/underlined]] gehörte, der heute wohl am tiefsten den Verlust seines langjährigen treuen und gleichaltrigen Freundes betrauert. Für die geistige Entwicklung Machs waren gerade diese Jahre von entscheidender Wichtigkeit. 
Mach hatte, wie er wiederholt selbst erzählte, bereits im Alter von sechzehn Jahren Kants "Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik" in die Hand bekommen und eignete sich aus diesem Buche die Ueberzeugung an, daß unser Weltbild durch die Natur unserer Sinnesorgane und durch die Beschaffenheit unseres Denkens ganz und gar bedingt sei. Was wir sehen, hören und tasten und was wir aus diesem Empfindungsstoff denkend gestalten, das ist die einzige uns zugängliche Seite der Dinge; es ist eine Welt der Erscheinungen. Daß hinter dieser Welt der Erscheinungen noch, wie Kant glaubte, ein von uns unabhängiges "Ding an sich " stecke, das hielt Mach schon damals für eine vollkommen überflüssige Annahme. Er sagte sich, daß die Wissenschaft sich damit begnügen müsse, aber auch begnügen könne, die Welt der Erscheinungen zu erforschen. So weit war Mach gekommen, als er das im Jahre 1859 erschienene Werk Darwins "Ueber die Enstehung der Arten" kennen lernte. Die neue Auffassung der Lebensvorgänge, die ihm hier entgegentrat, machte großen Eindruck auf ihn. Er kam zur Einsicht, daß alle menschliche Erkenntnis nichts anderes sei als eine Anpassung der Gedanken an die Tatsachen, ein Mittel zur Erhaltung und Bereicherung des Lebens, eine Waffe im Kampf ums Dasein.
Im Verkehr mit dem Nationalökonomen Herrmann, dem Erfinder der Korrespondenzkarte, lernte Mach den Begriff des wirtschaftlichen Verhaltens, des haushälterischen Arbeitens, kurz das Prinzip kennen, das man im prägnanten Sinne "Oekonomie" nennt. Durch eine geniale Synthese brachte nun Mach diesen dem Wirtschaftsleben entstammenden Begriff mit dem Entwicklungsgedanken zusammen. Es wurde ihm klar, daß die Wissenschaft immer neue Denkmittel ersinne, die es ermöglichen, große Komplexe von Erfahrungen in kurze, einfache Formeln zu bringen und so für künftige Verwendung bereit zu halten. Dadurch werden mit einem verhältnismäßig geringen Denkaufwand große Stoffmassen bewältigt und die Bahn frei gemacht für neue Probleme. Das ist der Sinn der berühmt gewordenen "Denkökonomie", eines der originellsten Leitgedanken, die Mach geschaffen hat. So ist zum Beispiel die Algebra ökönomischer als die Ziffernrechung. So wird durch grammatische Zergliederung das kaum übersehbare Material einer Sprache ökonomisch geordnet und zum Erlernen wie zum Verstehen zurecht gelegt.
So hatte also Mach bereits in seiner Jugend alle Grundprinzipien seiner Forschungsmethode konzipiert, und seine weitere Arbeit diente nur dazu, durch umfassende historische, physikalische und psychologische Untersuchungen diese Prinzipien anzuwenden und fruchtbar zu machen.
Im Jahre 1864 kam Mach als Professor der Mathematik nach Graz, übernahm aber schon nach einem Jahre die Professur für Physik. Dort lernte er seine Frau kennen, die durch fast fünfzig Jahre mit ihm in glücklicher Ehe gelebt hat und nun an seinem Grabe trauert. 
Drei Jahre später (1867) wurde Mach zum Professor der Experimentalphysik in Prag ernannt und wirkte dort volle achtundzwanzig Jahre. Aus der ersten Zeit seines Aufenthalts in Prag erzählte mir Mach viel von den Werbeversuchen der czechischen Größen, die den neuen Ankömmling für ihre nationale Sache gewinnen wollten. Purkinje, der berühmte Physiolog, dessen optische Arbeiten das Interesse Goethes erregt hatten, lebte damals noch als Professor der Physiologie in Prag. Er war bekanntlich ein stark nationaler Czeche und glaubte, in dem neuen Professor der Physik, der in Mähren geboren war, einen Gesinnungsgenossen zu finden. Als ihn nun Mach besuchte, sprach er ihn czechisch an. "Ich habe gehört, daß Sie Czechisch sprechen." Mach antwortete deutsch und ließ sich auf kein politisches Gespräch ein. Zum Mitglied der böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften gewählt, mußte Mach dem damaligen Präsidenten der Gesellschaft, dem Historiker Palacky, einen Besuch machen. Dieser redete ihm nun energisch zu, sich doch auf die czechische Seite zu stellen, und meinte, in national erregten Zeiten müsse jeder Partei ergreifen. Mach lehnte entschieden ab und blieb, was er war, ein Deutscher, der sich allerdings ganz seiner Wissenschaft widmete und sich um Politik nicht kümmerte. Später hat er sich um die deutsche Sache verdient gemacht, indem er nach der Gründung der czechischen Universität (1883) den Besitzstand der alten Hochschule im Verein mit seinem Freunde Ewald Hering energisch verteidigte.
In Prag gelangte Mach zur vollständigen wissenschaftlichen und philosophischen Reife. Hier entstanden seine grundlegenden Werke, allein es gelang ihm noch nicht, jenes Maß von Anerkennung und Wirkung zu finden, auf das ein solcher Forschergeist Anspruch hat. Um seiner bereits feststehenden Ueberzeugung von der biologischen und ökonomischen Funktion der Wissenschaft eine historische Basis zu geben, versenkte sich Mach viele Jahre hindurch in die Geschichte der Physik. Aristoteles und Archimedes, Euklid und Heron und was sonst von der Physik des Altertums erhalten