Viewing page 416 of 732

This transcription has been completed. Contact us with corrections.

finden. Nach den Ferien suchte ich Mach in seiner damaligen Wohnung in der Singerstraße auf und fand ihn sehr verändert. Es war nicht nur die mangelhafte Beweglichkeit der rechten Körperhälfte. Es wurde ihm auch das Sprechen schwer und das Gedächtnis hatte gelitten. Als er jedoch hinauszog und in Gersthof eine Wohnung mit einem Garten fand, den er direkt aus dem Zimmer betreten konnte, ohne Treppen zu steigen, da besserte sich sein Zustand zusehends und bald kehrte seine ganze geistige Frische und sein so überaus wohltuender Humor wieder. Dort in Gersthof habe ich, teils im Zimmer, teils im Garten, in seiner Gesellschaft Stunden zugebracht, die zu den wertvollsten Erinnerungen meines Lebens gehören. Die zunehmende Vertrautheit gestattete den Verkehr immer herzlicher und intimer. Wollte ich Aufklärung über ein physikalisches Problem, so gab er sie so klar, daß jedes Kind ihn verstehen konnte. Hatte ich in psychologischen erkenntnistheoretischen Fragen einen Einfall, so durfte ich sicher sein, daß er liebevoll darauf eingehen und mich durch Zustimmung oder durch Einwände sehr fördern würde.
Bewundernswert war die Energie, mit der er die gelähmten Teile seines Körpers wieder beweglich machte. Durch methodische Uebungen hatte er es zuwege gebracht, daß er im Garten mehrere hundert Schritt gehen konnte. Man sah es geradezu mit den Augen, wie sich der Geist den Körper baute. Schade, daß Mach diese für ihn so geeignete Wohnung verlassen mußte. Ich muß immer wieder denken, daß er länger gelebt hätte, wenn er hätte dort bleiben können.
Seit der Berufung nach Wien ging es mit der Berühmtheit Machs rasch vorwärts. Die im Jahre 1897 erschienenen "Populären Vorlesungen" haben mich so gepackt, daß ich darüber in diesen Blättern (27. August 1897) berichtete. Aus den liebenswürdigen Briefen des Verlegers durfte ich schließen, daß ich dadurch zur Verbreitung dieses entzückenden Buches etwas habe beitragen können. Im Jahre 1905 erschien Machs reifstes und vollendetstes Buch unter dem Titel "Erkenntnis und Irrtum". Der Reichtum dieses Werkes ist geradezu unerschöpflich. Inzwischen waren immer neue Auflagen der alten Werke zu bearbeiten und immer neue Uebersetzungen in fremde Sprachen durchzusehen. Mach hatte sich bald nach dem Schlaganfalle eine Schreibmaschine angeschafft und lernte sehr bald mit der linken Hand rasch und geschickt schreiben. Er schrieb aber auch ohne Maschine mit der linken Hand sehr leicht und gut. Ich habe mehrere Proben davon als Widmungen auf seinen Büchern, die er mir schenkte. Auch sein Testament hat er in dieser Weise eigenhändig geschrieben. 
In voller geistiger Frische hat Mach im Jahre 1913 Wien verlassen, um in die Nähe von München zu übersiedeln, wo sein ältester Sohn ein Häuschen erworben hatte. Von dort aus erhielt ich noch manchen Brief, in dem das rege Interesse am geistigen Leben der Zeit noch deutlich zu merken ist. Vom Kriege wollte Mach nicht gern sprechen. Anfangs wußte er nichts davon, weil er krank war, und später ging er dem Thema aus dem Wege. Ich habe ihm mein Buch "Der Krieg im Lichte der Gesellschaftslehre" selbstverständlich geschickt, allein er ist in seiner Antwort auf den Inhalt nicht eingegangen. Er wollte nur immer Berichte über wissenschaftliche Arbeiten und war besonders dankbar für die Mitteilung von irgendwelchen heiteren Episoden. 
Jetzt, wo er nicht mehr ist, wird sein Lebenswerk erst recht Früchte tragen. Seine Gedanken werden weiter wirken und man wird sich immer mehr bemühen, den vollen Sinn seiner Lehren zu deuten und weiter zu entwickeln. Mach hat, wie so viele große Männer vor ihm, die wichtigsten Leitideen bereits in der Jugend konzipiert und sein ganzes Leben daran festgehalten. Wenn ich mit einem Wort sagen soll, was Machs Ziel war, so scheint mir sein ganzes Streben von Anfang an darauf gerichtet, das menschliche Wissen zu vereinheitlichen und zu verlebendigen.

Transcription Notes:
third column belongs to another article, describing events of World War I