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Ernst Mach.

Nun hat auch Hume einen derartigen Sensationalismus vertreten, und Avenarius' Lehre von den "E-Werten" nähert sich gleichfalls einem solchen an.
Ich bezweifle gar nicht, daß dieser Sensationalismus für Mach auch eigentlich philosophische Bedeutung gehabt, daß er Lebenswertungen zum Ausdruck gebracht hat.  Er selbst erzählt (ebd. S. 21, A. 14) aus seinem 17. oder 18. Lebensjahre:  "An einem heiteren Sommertage im Freien erschien mir einmal die Welt samt meinem Ich als eine zusammenhängende Masse von Empfindungen, nur im Ich stärker zusammenhängend", und er fügt hinzu, es sei "dieser Moment" für seine "ganze Anschauung bestimmend geworden".  Es ist klar, daß dieses Erlebnis auch ein Werterlebnis war, nur daß Mach seine Stimmungsfarbe auch nur anzudeuten unterlassen hat - auch dies äußerst bezeichnend für den großen Naturforscher, den geschulten aber einseitigen Beobachter von Tatsachen.
Welche tatsächliche Bedeutung wäre also dem Machschen Sensationalismus zuzusprechen?  In Wahrheit ist es gar kein Sensationalismus. "Eine Farbe, sagt Mach (ebd., S. 13), ist ein physikalisches Objekt, sobald wir z. B. auf ihre Abhängigkeit von der beleuchtenden Lichtquelle . . . achten.  Achten wir aber auf ihre Abhängigkeit von der Netzhaut . . ., so ist sie ein psychologisches Objekt, eine Empfindung.  Nicht der Stoff, sondern die Untersuchungsrichtung ist in beiden Gebieten verschieden."  Der letzte Satz ist zu unterstreichen:  die Farben, Töne, Drucke, Widerstände, Temperaturen bilden einen Körper, gehören zur Natur, sofern ihre Wechselbeziehungen betrachtet werden, d. h. soferne sie Gegenstände der Physik sind; sie bilden ein Bewußtsein, gehören zum Ich und heißen "Empfindungen", "insofern, und nur insofern" (ebd. S. 12) sie in ihren Beziehungen zum Menschenleibe betrachtet werden, d. h. soferne sie Gegenstände der Psychologie sind.  Davon ist weder bei Hume noch bei Avenarius die Rede.  Dieser entscheidende Gedanke, weltenweit entgegengesetzt dem zur Zeit seiner Erfassung herrschenden Materialismus und von unermeßlicher Wirkung auf die Systeme der folgenden Jahrzehnte bis auf James, Münsterberg und Bergson, entsteht vielmehr lediglich durch die Besinnung auf das Wesen der einzelnen Wissenschaften, er ist wirklich das Erzeugnis des Strebens, "einen Standpunkt einzunehmen, den man nicht sofort zu wechseln braucht, wenn man in das Gebiet einer anderen Wissenschaft hinüberblickt".

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