Viewing page 431 of 732

This transcription has been completed. Contact us with corrections.

Ernst Mach. 327

auf jeder Stufe der philosophischen Bildung und Entwicklung lesen und zu verstehen meinen kann, die einem aber auf jeder höheren Stufe wieder reiche Belehrung und Anregung erschließen. Der Grund hiervon liegt in der fast beispiellosen Einfachheit und Schlichtheit der Darstellung, die zur Folge hat, daß der Leser oft über die reifsten Ergebnisse eindringenden Denkens hinwegliest, weil sie so sehr in der anspruchslosen Form des Alltäglichen und Selbstverständlichen auftreten, daß sie nur der voll zu würdigen vermag, der den Problemen schon selbst nachgegangen ist und so ihre Schwierigkeiten und Tücken erfahren hat. Diese Anspruchslosigkeit und Schlichtheit aber wurzelt wiederum in dem Grundzuge von Machs Wesen, Denken und Empfinden: einer unerschütterlichen, unerreichten, unvergleichlichen Sachlichkeit."
In der Tat, Machs stets gleichmäßig ruhiger, erwartungvoll forschender Blick schien alles Persönliche an Menschen und Büchern zu durchdringen und abzustreifen und - alle Sympathie und Antipathie, alles Recht- und Unrechthaben beiseite setzend - immer wieder nur die eine Frage zu stellen: "Was sagst du? Was meinst du? Was läßt sich dafür anführen?" Ich bin hierfür ein ziemlich unverdächtiger Zeuge, denn ich schmeichle mir durchaus nicht, dem in diesen Fragen gelegenen Anspruch irgendwie Genüge getan zu haben. Ich habe im Gegenteil unter diesem erwartungsvollen Blicke Machs, unter der in ihm gestellten Frage: "Was bringst du mir?" oft innerlich gelitten. Das einzige, was ich ihm etwa hätte bringen können, wäre hier und da eine erkenntnistheoretische Anregung gewesen, und für derartige Auseinandersetzungen war in den vielen Jahren seiner Krankheit kaum mehr ganz die rechte Zeit. Was er mir zu erwarten schien, das waren naturwissenschaftlich bedeutsame Tatsachen oder Theorien, oder auch sonstige Einzelzüge, die er in seinen Gedanken, in seinen Werken hätte verarbeiten können. Das Bewußtsein, ihm gegenüberzusitzen, ohne ihm derartiges bringen zu können, habe ich lange quälend empfunden, und schließlich meine Besuche eingstellt, indem ich ihm aufrichtig schrieb, ich hätte die Empfindung, sie müßten in langweilen. Er hat mir auch weiter noch Zeichen seines  Wohlwollens zukommen lassen, jenem Bekenntnis aber nicht widersprochen. Viele andere Besucher waren allerdings überzeugt, Mach auch durch ein recht leichtes Gespräch willkommene "Zerstreuung" zu bieten. Wie sich dieser Gegensatz der Eindrücke erklärt, muß ich dahingestellt sein lassen.