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2  Ernst Mach +. Physik. Zeitschr. XVII, 1916.
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haupt verloren. So ist es schwer, und auch gar nicht so wesentlich, die Fragen zu beantworten: "Was hat Mach gelehrt, was gegenüber Bacon und Hume prinzipiell neu wäre?" "Was unterscheidet ihn wesentlich von Stuart Mill, Kirchhoff, Hertz, Helmholtz, was den allgemein erkenntnistheoretischen Standpunkt gegenüber den Einzelwissenschaften anlangt?" Tatsache ist, daß Mach durch seine historisch - kritischen Schriften, in denen er das Werden der Einzelwissenschaften mit so viel Liebe verfolgt und den einzelnen auf dem Gebiete bahnbrechenden Forschern bis ins innere ihres Gehirnstübchens nachspürt, einen großen Einfluß auf unsere Generation von Naturforschern gahabt hat. Ich glaube sogar, daß diejenigen, welche sich für Gegner Machs halten, kaum wissen, wieviel von Machscher Betrachtungsweise sie sozusagen mit der Muttermilch eingesogen haben.
Nach Mach ist Wissenschaft nichts anderes, als Vergleichung und Ordnung der uns tatsächlich gegebenen Bewußtseinsinhalte nach gewissen, von uns allmählich ertasteten Gesichtspunkten und Methoden. Physik und Psychologie unterscheiden sich also voneinander nicht in dem Gegenstande, sondern nur in den Gesichtspunkten der Anordnung und Verknüpfung des Stoffes. Als seine wichtigste Aufgabe scheint es Mach vorgeschwebt zu sein, an den von ihm beherrschten Einzelwissenschaften darzutun, wie sich diese Ordnung im einzelnen vollzogen hat. Als Resultate der Ordnungstätigkeit ergeben sich die abstrakten Begriffe und die Gesetze (Regeln) ihrer Verknüpfung. Beide werden so gewählt, daß sie zusammen ein ordnendes Schema bilden, in welches sich die zu ordnenden Gegebenheiten sicher und übersichtlich einreihen lassen. Begriffe haben nach dem Gesagten nur Sinn, sofern die Dinge aufgezeigt werden können, auf die sie sich beziehen, sowie die Gesichtspunkte, gemäß welchen sie diesen Dinge zugeordnet sind (Analyse der Begriffe).
Die Bedeutung solcher Geister, wie Mach, liegt nun keineswegs nur darin, daß sie gewisse philosophische Bedürfnisse der Zeit befriedigen, die der eingefleischte Fachwissenschaftler als Luxus bezeichnen mag. Begriffe, welche sich bei der Ordnung der Dinge als nützlich erwiesen haben, erlangen über uns leicht eine solche Autorität, daß wir ihres irdischen Ursprungs vergessen und sie als unabänderliche Gegebenheiten hinnehmen. Sie werden dann zu "Denknotwendigkeiten", "Gegebenen a priori" usw. gestempelt. Der Weg des wissenschaftlichen Fortschrittes wird durch solche Irrtümer oft für lange Zeit ungangbar gemacht. Es ist deshalb durchaus keine müßige Spielerei, wenn wir darin geübt werden, die längst geläufigen Begriffe zu analysieren und zu zeigen, von welchen Umständen ihre Berechtigung und Brauchbarkeit abhängt, wie sie im einzelnen aus den Gegebenheiten der Erfahrung herausgewachsen sind. Dadurch wird ihre allzu große Autorität gebrochen. Sie werden entfernt, wenn sie sich nicht ordentlich legitimieren können, korrigiert, wenn ihre Zuordnung zu den gegebenen Dingen allzu nachlässig war, durch andere ersetzt, wenn sieh ein neues System aufstellen läßt, das wir aus irgendwelchen Gründen vorziehen.
Derartige Analysen erscheinen dem Fachwissenschaftler, dessen Blick mehr auf das Einzelne gerichtet ist, meist überflüssig, gespreizt, zuweilen gar lächerlich. Die Situation ändert sich aber, wenn einer der gewohnheitsmäßig benutzten Begriffe durch einen schärferen ersetzt werden soll, weil es die Entwicklung der betreffenden Wissenschaft erheischt. Dann erheben diejenigen, welche den eigenen Begriffen gegenüber nicht reinlich verfahren sind, energischen Protest und klagen über revolutionäre Bedrohung der heiligsten Güter. In dies Geschrei mischen sich dann die Stimmen derjenigen Philosophen, welche jenen Begriff nicht entbehren zu können glauben, weil sie ihn in ihr Schatzkästlein des "Absoluten" des "a priori" oder kurz derart eingereiht hatten, daß sie dessen prinzipielle Unabänderlichkeit proklamiert hatten.
Der Leser errät schon, daß ich hier vorzugsweise auf gewisse Begriffe der Lehre von Raum und Zeit, sowie der Mechanik anspiele, welche durch die Relativitätstheorie eine Modifikation erfahren haben. Niemand kann es den Erkenntnistheoretikern nehmen, daß sie der Entwicklung hier die Wege geebnet haben; von mir selbst weiß ich mindestens, daß ich insbesondere durch Hume und Mach direkt und indirekt sehr gefördert worden bin. Ich bitte den Leser, Machs Werk: "Die Mechanik in ihrer Entwicklung" in die Hand zu nehmen und die unter 6. und 7. im zweiten Kapitel gegebenen Betrachtungen ("Newtons Ansichten über Zeit, Raum und Bewegung" und "Übersichtliche Kritik der Newtonschen Aufstellungen"). Dort finden sich Gedanken meisterhaft dargelegt, die noch keineswegs Gemeingut der Physiker geworden sind. Diese Parteien sind noch deshalb besonders anziehend, weil sie an wörtlich zitierte Stellen Newtons anknüpfen. Hier einige Rosinen:
Newton: "Die absolute, wahre und mathematische Zeit verfließt an sich und vermöge ihrer Natur gleichförmig und ohne Beziehung auf irgendeinen äußeren Gegenstand. Sie wird auch mit dem Namen [[underlined]] Dauer [[/underlined]] belegt."
"Die relative, scheinbare und gewöhnliche Zeit ist ein fühlbares und äußerliches, entweder