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66 Frank: Die Bedeutung d. physical. Erkenntnistheorie Machs f.d. Geistesleben usw. [Die Naturwissenschaften

ruhender Glaube an die Realität ihres Weltbildes. Angesichts dieser doch gewiß unanfechtbaren Tatsache läßt sich die Vermutung nicht von der Hand weisen, daß, falls das Machsche Prinzip der Ökonomie wirklich einmal in den Mittelpunkt der Erkenntnistheorie gerückt werden sollte, die Gedankengänge solcher führenden Geister gestört, der Flug ihrer Phantasie gelähmt und dadurch vielleicht der Fortschritt der Wissenschaft in verhängnisvoller Weise gehemmt werden würde."
  Daß diese Befürchtungen in dieser Allgemeinheit nicht begründet sind, kann man leicht sehen, wenn man sich die Ansichten eines der größten theoretischen Physiker des 19. Jahrhunderts, J. Cl. Maxwells 1), über das Wesen der physikalischen Theorien ins Gedächtnis ruft. Man braucht nur die Einleitung zu seiner Abhandlung über Faradays Kraftlinien aus dem Jahre 1855 zu lesen, um ihn völlig als Anhänger des phänomenalistischen Standpunktes zu finden, ohne daß man doch irgendwie von ihm behaupten könnte, daß dadurch der Flug seiner Phantasie gelähmt worden wäre. Ja im Gegenteil. Die Auffassung von dem relativen Unwert der Theorie gegenüber dem Phänomen verleiht dem Theoretisieren solcher Forscher etwas ganz besonders Freies und Phantasievolles.
  Ich will übrigens zugeben, daß die phänomenalistische Lehre jenen entgegenkommt, die eine mehr registrierende als konstruktive Tätigkeit in der Physik verfolgen. Mancher, der imstande ist, bestimmte, wenn auch sehr spezielle Phänomene reinlich zu beschreiben, mag sich durch diese Lehre erhaben dünken über den phantasievollen schöpferischen Geist, dessen Gebäude ja doch nur Hirngespinste sind und "Dürre Blätter". Ich glaube aber nicht, daß bei so veranlagten Naturen die Machsche Philosophie die Phantasie gelähmt hat, sondern daß eine von Natur lahme Phantasie sich die Machschen Lehren zu einem verhüllenden Prunkgewande zurechtschneidert. Es mögen vielleicht solche Erfahrungen sein, die Planck veranlaßt haben, am Schlusse seines schon zitierten Vortrages den Verkündern der phänomenalistischen Lehren die biblischen Worte entgegenzuschleudern: "An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen."
  Über dieses Kriterium von den Früchten werde ich noch eingehender zu sprechen haben und will zunächst nur ein an dasselbe biblische Gleichnis anknüpfendes Wort von P. Duhem 2) über den Wert und Unwert physikalischer Theorien anführen. Dieser im vorigen Jahre vestorbene bedeutendste  Vertreter der Machschen Ideenrichtung in Frankreich sagt: "Nach der Frucht beurteilt man den Baum; der Baum der Wissenschaft wächst außerordentlich langsam; Jahrhunderte verlaufen, ehe 

  1) J. Cl. Maxwell, Über Faradays Kraftlinien, herausgegeben von L. Boltzmann in Ostwalds Klassikern der ex. Wiss Nr. 69.
  2) P. Duhem, Die Wandlungen der Mechanik, Deutsch von Ph. Frank und E. Stiasny, Leipzig, 1912.

man reife Früchte pflücken kann; heute ist es uns noch kaum möglich, den Kern jener Lehren herauszuschälen und abzuschätzen, die im XVII. Jahrhundert blühten. Derjenige, der säet, kann daher nicht beurteilen, was das Korn wert ist, er muß in die Fruchtbarkeit der Saat Vertrauen setzen, damit er umermüdlich, ohne Ermattung der erwählten Furche folgen kann, wenn er seine Ideen den vier Winden des Himmels hinwirft."
  Diese Bemerkung des größten und genauesten Kenners der Geschichte der Physik antwortet vielleicht auch schon auf die von Planck 1) ausgesprochene Meinung,"daß schon unser gegenwärtiges Weltbild, obwohl es je nach der Individualität des Forschers noch in den verschiedensten Farben schillert, dennoch gewisse Züge enthält, welche durch keine Revolution, weder in der Natur noch im menschlichen Geiste, je mehr verwischt werden können." Diese bleibenden Züge kommen nach Mach eben daher, daß alle möglichen Theorien denselben Zusammenhang zwischen den Phänomenen wiedergeben müssen; das verbürgt schon eine gewisse Konstanz. Die bekannten Verknüpfungen zwischen den Erscheinungen stellen ein Netz dar; die Theorie sucht durch die Knoten und Fäden diese Netzes eine stetige Fläche zu legen. Die Fläche ist natürlich durch das Netz um so mehr bestimmt, je engmaschiger das Netz wird, so daß bei fortschreitender Erfahrung die Fläche immer kleineren Spielraum bekommt, ohne doch je durch das Netz eindeutig bestimmt zu werden. 
  Da die Machschen Grundsätze in der Physik zu nichts Gutem führen, ist es nach Planck und Study für die Physik ein Glück, daß sie von ihren Anhängern nie durchgeführt werden, wenn das auch für die Grundsätze selbst ein betrübendes Zeichen ist. So sagt Study 2) vom Positivismus, wie er die Machsche Lehre nennt: "Wir halten diese Prinzip für eine vollkommene Utopie. Seine ganze Existenzmöglichkeit beruht darauf, daß es von seinen eigenen Bekennern auf jedem Schritt verleugnet wird. Noch nie ist überhaupt ein ernsthafter Versuch zu seiner Durchführung gemacht worden." "Wir 3) haben es mit einer prinzipiellen Frage zu tun und müssen daher unterscheiden zwischen der Theorie des Positivismus und der Praxis der zu ihrem Glück durchweg inkonsequenten Positivisten." Ähnlich sagt Planck 4):"Wir gelangen dann zu einer mehr realistischen Ausdrucksweise,.... die ja auch tatsächlich von den Physikern stets angewendet wird, wenn sie in der Sprache ihrer Wissenschaft reden."
  Und mit beißendem Spott sagt Study 5): "In zahlreichen Fällen werden so die beim offiziellen Empfang schnöde verleugneten Hypothesen (warum nicht auch die Atomistik?) unter anderen Namen und durch eine eigens dazu angebrachte 
 
  1) l. c. Seite 35.
  2) l. c. Seite 36.
  3) Study l. c. Seite 41.
  4) l. c. Seite 37.
  5) l. c. Seite 37.